Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 41 -
Besuch im Mittag. Wirkung des Glaubenswahren und des Liebeguten
Nun sehet, wie ich gesagt habe und ehe ihr es euch versehen mochtet, sind wir auch schon da, wo wir sein wollen. Wir sind also schon im Mittage. - Saget mir vorerst, wie es euch gefällt und was ihr alles sehet.
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Ihr saget: Uns gefällt's hier überaus gut, doch müssen wir dir dabei gestehen, daß wir hier noch mehr erwarteten, als sich nun unseren Blicken zur Beschauung darstellt. Diese Gegend kommt uns vor wie eine reizende, schöne Landschaft auf der Erde, wie es auf derselben sicher eine Menge gibt; aber so etwas überirdisch erhaben Schönes können wir uns hier nicht herausschauen.
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Ja, meine lieben Freunde, ihr habt im Grunde wohl recht; es scheint hier, wie ihr sehet, ebenfalls eine Sonne, und sie steht in dieser Gegend gerade im Zenite. Ferner sieht auch der Himmel so lieblich blau aus wie bei euch auf der Erde. Rings umher seht ihr die mannigfaltigsten Abwechslungen von fruchtbaren Feldern, mit Obstbäumen bewachsenen Hügeln, selbst Weingärten nach eurer Art mangeln nicht. Hier und da sehet ihr auch ganz ansehnliche Alpen über den kleinen Hügeln hervorragen; ihr sehet auch hier und da bei den niedlich angebrachten Häusern Menschen ein- und ausgehen, auch auf den Feldern erblickt ihr hier und da etwelche mit der Sammlung und Bearbeitung der Früchte beschäftigt.
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Es ist wahr, die Sache, so oberflächlich hin betrachtet, hat mit den schönen Gegenden der Erde eine ganz frappante Ähnlichkeit. Aber ich sage euch, wir dürfen uns nur einem dieser Wohnhäuser nahen, so wird euch die Einrichtung eines solchen Wohnhauses sogleich eines andern belehren. Sehet, gerade an dieser Straße, welche sich zwischen einer doppelten Obstbaumreihe hinzieht, liegt, wie ihr sehet, ein recht niedliches Häuschen; diesem wollen wir uns nähern und wollen sehen, welcher innern Beschaffenheit es ist.
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Nun, wir sind schon am Ziele. Sehet, der Inhaber dieses Hauses stehet gerade an der Flur, kann uns aber nicht erschauen, denn für die Bewohner des Mittags sind wir noch unsichtbar; aber dessen ungeachtet ahnt er, daß sich inwendigere Wesen in seiner Nähe befinden. Aus dem Grunde behorcht er sich selbst, wie ihr sehet, und gleicht darum zuständlich einem Menschen, der plötzlich in tiefere Gedanken verfallen ist. So wollen wir uns denn auch sobald in seine Wohnung begeben.
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Sehet, wir sind schon im Inwendigen dieses Hauses; wie gefällt es euch? Ihr schlaget ja die Hände über dem Kopfe zusammen und saget: Aber um des Herrn willen, wie ist wohl solches möglich?! Wir erblicken das Inwendige des Hauses überaus großartig prachtvoll ausgeschmückt, und die innere Größe des Hauses scheint ja die äußere Umfassung ums Unvergleichliche zu übertreffen; und so wir zu einem oder dem andern Fenster hinausblicken, erschauen wir von der früheren Gegend nicht das Leiseste mehr, sondern alles ist unvergleichlich erhaben anders. Allenthalben erblicken wir die wunderbarst großartigen Paläste und Tempel; die fernen Gebirge glänzen, als wären sie mit der Lichtmaterie der Sonne selbst übergossen, und eine weite Ebene dehnt sich aus. Über derselben stehen zahllose Paläste von der unbegreiflich wunderbarst und großartig schönsten Art. In der Mitte zieht sich ein Strom durch, dessen Wogen schimmern, als würden die allerschönsten geschliffenen Diamanten durcheinander gerollt, und die Ufer sind von riesenhaft großen Bäumen bewachsen. Wir haben ähnliche Bäume wohl auf der naturmäßigen Sonne gesehen, aber diese sind noch ums Tausendfache herrlicher; denn sie scheinen ganz durchsichtig zu sein, und ihr Laub glänzt nach allen Seiten hin als ein lebendiger Teil eines Regenbogens. Und wie herrlich ist doch das Innere dieses Gebäudes! Ähnliches haben wir nur im Mittelgürtel der Sonne in naturmäßiger Hinsicht geschaut, aber es war alles nur plump und ungeschickt dagegen; denn hier ist ja doch alles mit einer solchen, ja man könnte sagen, ins Unendliche gehenden Reinheit und Bestimmtheit dargestellt, daß man sich schon bei einer Kleinigkeit voll der größten Verwunderung viele Jahre lang aufhalten könnte. Die unendliche Farbenpracht, die allenthalben herrlich und passend verteilt ist, ist schon an und für sich so himmlisch anziehend, daß wir uns füglich nicht mehr entschließen können, dieses Wohnhaus zu verlassen.
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Ja, ja, meine lieben Freunde, so ist es; - das Inwendige bekommt hier schon seinen Wert. Der Wert ist zwar noch bemeßbar, aber dessen ungeachtet schon über alle eure Begriffe groß; denn er ist eine Wirkung des Lichtes aus der Weisheit, welche da entspringt aus dem Glaubenswahren an den Herrn, und aus diesem Glaubenswahren dann auch in einem entsprechenden Grade aus dem Liebtätigkeitsguten, welches ist ein unterer Grad der eigentlichen Liebe zum Herrn.
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Ihr fraget: Bewohnt denn so ein Haus hier nur ein einziger seliger Menschengeist? O nein, begeben wir uns nur von diesem ersten Gemache in das diesem gegenüber befindliche, und ihr werdet in selbem mehrere glückliche Menschengeister erblicken, und zwar beiderlei Geschlechtes. Sehet, dort im Hintergrunde befinden sich etliche dreißig Wesen. Diese sind samt und sämtlich Bewohner dieses Hauses, und derjenige, den wir an der Flur erschauten, ist ein Diener aller, die darinnen wohnen. Er ist auf das eifrigste bemüht, alle mit allem möglichen zu versorgen. Daher ist er auch der Größte unter ihnen und dereinst der völlige Eigentümer dieser Besitzung.
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Merket ihr nicht, wie diese dreißig Einwohner überaus herrlich gekleidet sind, etliche tragen sogar leuchtende Kronen auf ihren Stirnen, sind überselig und preisen in ihrem Wonnegefühle den Herrn!
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Aber nun seht unsern Mann an, der noch an der Türe steht, wie einfach er ist. Ein weißes Kleid, mit einem einfachen Gürtel um die Lenden zusammengehalten, ist alles, was er von dieser himmlischen Pracht an sich genommen hat. Er könnte sich zwar überaus prachtvoll ausschmücken, allein solches vergnügt ihn nicht. Seine Seligkeit besteht nur darin, daß er seine Brüder und Schwestern so selig macht, als es nur immer in seinen Kräften steht. Was er gewinnt durch die Liebe und Gnade des Herrn, das trägt er sogleich seinen Freunden zu, und so es ihnen große Freude macht, so wird er selbst zu Tränen gerührt. Und wenn er alles hergegeben hat, da ist er am seligsten!
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Aber ihr fraget: Warum ist er denn nicht bei der Gesellschaft? - Das könnt ihr leicht aus seiner Physiognomie entnehmen. Er sinnt voll großer Gedanken nach, was er seiner Gesellschaft wieder tun könnte, um ihr eine neue Seligkeit zu bereiten. Sehet, er hat schon etwas gefunden. Ich habe euch ja im voraus gesagt, er sieht uns zwar nicht, aber er ahnt uns. Darum geht er immer und immer tiefer in sich, um unser ansichtig zu werden, und sucht schon im voraus von uns für seine Gesellschaft etwas zu gewinnen. Auch spekuliert er in dieser Gegend umher, ob nicht irgendein jüngster Ankömmling sich irgendwo bewege, der noch kein Dach und Fach hätte, damit er ihm ja sobald entgegenkommen und ihn aufnehmen möchte in seine Wohnung.
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Solange wir im Inwendigen des Hauses verweilen, wird er uns nicht erblicken, wenn wir aber wieder heraustreten, so wird er uns erschauen. Sodann werdet ihr auch seine namenlose Freude sehen und in ihm einen überaus liebreichen und gastfreundlichen Mann erkennen. - Und so denn treten wir hinaus!
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Nun seht, er sieht uns und fällt sogleich auf sein Angesicht vor uns nieder und spricht: O ihr mir noch unbekannten höheren Freunde des Herrn, ich habe euch geahnt, vermochte euch aber nicht zu schauen. Da mir aber nun die Gnade ward, euch zu sehen, so bitte ich euch um der unendlichen Liebe des allmächtigen Herrn willen, wollet mich doch nicht so schnell verlassen, sondern begebet euch noch einmal mit mir in diese meine Wohnung, damit ich mit euch meine kleine Gesellschaft um gar vieles glücklicher mache; denn ihr werdet sicher vom Herrn, dem liebevollsten Vater, etwas Näheres wissen. Tuet es uns kund; denn ein Wort von Ihm zu hören, ist uns bei weitem mehr als alle Herrlichkeiten, die wir hier in namenloser Fülle besitzen.
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Nun spreche ich mit ihm: Gemaniel! Erhebe dich, und wir wollen dir folgen in dein Haus! - Sehet, er erhebt sich, öffnet seine Arme gegen uns und zeigt uns, Freundschaft und Liebe lächelnd, demütigst, daß wir vor ihm einhergehen sollen. Also gehet denn mit mir; denn nun soll auch die ganze Gesellschaft unser ansichtig werden.
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Sehet, wie die ganze Gesellschaft sich liebefreundlich erhebt und uns entgegeneilt! Nun aber höret auf den Gemaniel, wie er uns bei der Gesellschaft einführen wird. Er spricht: Sehet, sehet, meine allerinnigst geliebten Brüder und Schwestern, ich habe es euch ja gesagt: Der allgütigste Herr und Vater wird uns sicher gar bald das große Glück zuteil werden lassen, einen oder den andern Seiner hohen Freunde zu uns zu senden, damit wir von ihm ein Wort vom Vater vernehmen möchten! Und sehet, der allgütige Vater ist unserem innersten Wunsche zuvorgekommen; ehe wir es uns noch recht versahen, betraten schon solch hohe Freunde unsere Wohnung.
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Anfangs konnten unsere ungeweihten Augen sie ihrer großen Herrlichkeit wegen freilich nicht erschauen, aber die große Gnade des Herrn hat unsere Augen geweiht, und wir erschauen sie nun zu unserer größten Seligkeit in unserer Mitte. Wir wissen zwar nicht, wer sie sind und wie sie heißen; aber wir erkennen, daß sie gar große innere Freunde des Herrn sind, und solches ist schon unsere größte Seligkeit!
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Sehet, nun wendet er sich zu uns und bittet uns demütigst um ein Wort des Vaters, indem er spricht: O ihr hohen Freunde des Herrn! Ich weiß wohl, daß ein Wort des Vaters zu heilig ist, selbst von eurem Munde ausgesprochen, daß wir es würdig vernehmen möchten; aber unsere Liebe zu Ihm, dem unendlich guten Vater, läßt uns nicht ruhen, darum erbitten wir solches allerdemütigst von euch!
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Nun will ich ihnen denn auch ein Wort vom Vater geben. Und so höret: Höret, mein lieber Gemaniel und ihr, seine Genossen, Freunde und Brüder! Also spricht der Herr: ,,Lasset die Kleinen zu Mir kommen; denn ihrer ist das Himmelreich!" Nun sehet, wie alle verklärt niedersinken, und der Gemaniel spricht liebeseufzend: Ja, ja, das ist wahrhaftig das Wort und die Stimme des Vaters; wer nicht klein ist und nicht gleich den Kindlein, der wird nicht in das Himmelreich eingehen! O meine lieben Brüder und Freunde, lasset uns dieses allerheiligste Wort zur höchsten Zierde und zum allergrößten Reichtum unseres Hauses werden.
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Klein wollen wir daher sein allzeit und ewig, damit wir dadurch vielleicht auch einmal der großen Gnade gewürdigt werden möchten, so der Herr durch unsere Gegend zöge, wir an die Straße eileten, und wenn uns Seine großen Freunde wehren möchten, uns Ihm zu nahen, - daß Er dann auch allergnädigst sage: ,,Lasset diese Kleinen zu Mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Himmelreich!"
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Nun habt ihr gesehen, wie es hier zugeht. Ihr fraget mich heimlich: Diese sind doch offenbar schon im Himmel; wie mögen sie denn also sprechen, als hätte noch keines von ihnen den Herrn gesehen? Ich aber sage euch: Diese sehen zwar fortwährend den Herrn also, wie ihr auf der Erde die Sonne sehet; das heißt soviel als: das Licht Gottes ist über ihren Häuptern und bezeichnet somit die Sphäre der Weisheit.
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Da aber das Menschliche des Herrn die allerreinste Liebe darstellt, welche Liebe noch ganz anders beschaffen sein muß, als sie sich hier artet, so vermögen sie auch eben das Menschliche des Herrn nicht zu erschauen und sind daher einer stets größeren Vervollkommnung fähig. Es geschieht auch, freilich wohl nur zu seltenen Malen, daß der Herr entweder unmittelbar oder durch einen obersten Engelsgeist diese Gegend besucht, da kommt es dann auch allezeit vor, daß die Kleinsten dieser Gegend angenommen werden und werden geführt in den Morgen. -
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Nun aber wollen wir auch dieses Haus segnend verlassen und uns in dieser Gegend fürbaß bewegen, und zwar über die höheren Alpen dort, die ihr in der Ferne erblicket. Dort werden wir wieder einen anderen Teil des Mittags kennenlernen. - Und somit gut für heute!