Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 25 -
Ein Bekehrungsgang zu den besseren Stoikern
Sehet, da unten im Tale gehen soeben drei abgesandte Boten auf einen solchen Fang aus. Wir wollen ihnen folgen und ihrer Operation ein gutes Gehör leihen. Sie ziehen sich mehr taleinwärts, und von hier aus bei der dritten Hütte, die ihr ebenfalls auf einem abgerundeten bemoosten Felsen erblicket, werden sie zusprechen. Sehet nur, wie sie sich ganz behutsam der Hütte nähern und sich dabei so klein als möglich machen. Und so denn eilen wir nur sobald hinzu, damit uns auch der erste Empfang nicht entgeht. Wir wären an Ort und Stelle, also nur aufgepaßt!
2
Der Anführer begrüßt das scheinbare Oberhaupt dieses Häuschens, d.h. den Allervernünftigsten, und zugleich den Vorsteher und Lehrer der andern zehn Personen, die ihr in seiner Gesellschaft erschauet. - Wie lautet der Gruß? Höret ihn: Überaus weiser Mann, der du die Dinge vom rechten Standpunkt aus betrachtest und wohl erkennest mit der scharfen Spitze deiner Vernunft, was da recht und unrecht, billig und unbillig und wohlgeordnet und unwohlgeordnet ist. Wir haben in eine weite Ferne hin vernommen, welch ein weiser Mann du bist, daher sind wir hierher gezogen, uns bei dir über so manches besseren Rat zu holen!
3
Der Vernunftpräses spricht dagegen: In dieser Hinsicht seid ihr mir völlig willkommen; was in meinen Kräften steht, will ich euch gerne helfen, jedoch nicht über die Kräfte hinaus. Ihr wisset und werdet es erfahren haben, daß meine Schätze nicht etwa in Gold und Silber und aller Art edlem Gesteine bestehen; auch werden bei mir keine Mahlzeiten und mit wohlschmeckenden Speisen besetzte Tafeln geboten. Was ich aber habe, nämlich den Sieg der reinen Vernunft, davon sollet ihr schöpfen, soviel ihr wollt. Ihr könnt versichert sein, daß euch diese Schätze glücklicher machen werden, als so ihr im Vollbesitze wäret von allen geträumten sogenannten himmlischen Herrlichkeiten, die da an und für sich nichts sind als heimlich ausgesprochene Bedürfnisse eines mit dem Gegebenen unzufriedenen Geistes. Ihr wisset, daß der Raum unendlich ist und der Mensch in diesem Raume denkt. Wer seine Gedanken ins Unendliche trägt, der vergißt fürs erste, daß er selbst nur ein endliches Wesen ist, und fürs zweite beachtet er nicht und wird nicht gewahr, daß für ihn aus solchen Gedanken am Ende nichts als eine beständige Unzufriedenheit, daher eine stets größere Forderung von unerreichbaren Gütern und aus dieser endlich auch ein immerwährend unglückseliger Zustand erwächst, welchen die menschliche Torheit nur durch weit gedehnte und groß gemachte leere Hoffnungen blindlings sättiget. Sonach ist denn auch der Himmel nichts anderes als solch ein geträumtes Gut und dient bloß zur Sättigung der Einbildungskraft der mit dem Gegebenen unzufriedenen Geister.
4
Nur die reine Vernunft bemißt die wahren Grenzen der Bedürfnisse ihres subjektiven Wesens und verlangt dann von aller Objektivität nur das richtige Maß ihrer eigenen Beschränktheit, und dieses Maß heißt die volle Zufriedenheit. Wer mit dem zufrieden ist, was er nach dem richtigsten Maßstabe seiner eigenen Beschränktheit am Wege der reinen Vernunft erkennt, der hat den wahren Himmel gefunden und wird sich sicher ewig nie einen andern wünschen, weil er klar einsehen wird, daß für das Maß seiner eigenen Beschränktheit nichts anderes taugt als das, was eben diesem Maße als völlig ebenmäßig entspricht.
5
Auf diese weise Rede spricht wieder der Anführer (Bote): Wir erkennen schon aus dieser deiner kurzen Vorbemerkung, daß du dir den Sieg der reinen Vernunft vollkommen zu eigen gemacht hast; daher wagen wir auch, mit großer Zuversicht auf deine Weisheit, dir unser Anliegen vorzutragen. Der Vernunftrepräsentant spricht: Willkommen sei mir alles, worin ich euch immer dienen kann, daher sprechet ganz frei und ungehalten euer Anliegen aus! Der Anführer (Bote) spricht: So höre denn! In der Gesellschaft, von der wir abgesandt worden sind, um uns bei dir besseren Rat zu holen, hat sich ein großer Streit über die Notwendigkeit und Nichtnotwendigkeit des Lichtes erhoben. Die Gründe für das Licht sind so triftig als die gegen das Licht, und wir können durchaus nicht entscheiden, welche Partei da recht hat. - Der Vernunftrepräsentant spricht: Lasset einige solche Gründe und Gegengründe hören, und ihr könnet versichert sein, daß mein Urteil den Nagel auf den Kopf treffen wird.
6
Der Anführer spricht: So höre denn! Ein Grund für das Licht lautet: Was wären alle Dinge ohne Licht? Sie wären so gut, als wenn sie nicht wären. Ferner sei das Licht das Grundprinzip aller Wirkung und somit auch alles Denkens; denn ohne das Licht als die alles bewegende und erregende Kraft wäre nie etwas entstanden und somit auch kein vernünftig denkendes Wesen; denn das Licht sei ja auch das Grundprinzip der Vernunft und ist im geistig reinsten Zustande die reine Vernunft selbst. - Siehe, das ist der Grund für das Licht.
7
Der Gegengrund aber lautet: Nachdem das Licht offenbar aus der Finsternis hervorgegangen ist, und somit vor dem Lichte nur ein gänzlich lichtloser Zustand die ganze Unendlichkeit durchdrang, so läßt sich fragen, ob die Unendlichkeit im lichtlosen Zustande weniger Unendlichkeit war als nun im lichtvollen. - Ferner lautet der Gegensatz: Es ist jedermann bekannt, daß das Inwendige der Weltkörper zuallermeist vollkommen lichtlos ist; und dennoch findet sich die Materie in solchem lichtlosen Zustande ebenso und noch intensiver als auf der Oberfläche eines Weltkörpers, der im Lichte schwimmt. So aber der ganze Weltkörper seinem Inwendigen nach ohne Licht gar wohl bestehen kann, so erscheine das Licht als eine pure Luxussache unter den Dingen der Natur. Ferner lautet dieser Gegensatz: Solches wisse jedermann, daß er in der Nacht des Mutterleibes gezeugt worden ist und hat in eben dieser Nacht das Leben empfangen. Aus welchem Grunde muß denn dann das in der Nacht lebendig Gewordene ans Licht hervorgehen? Wer solches nur ein wenig beachten möchte, der müßte auf den ersten Augenblick einsehen, daß das Licht nicht nur gänzlich entbehrlich, sondern auch den Dingen schädlich ist, weil sie sich an dasselbe gewöhnen und dann offenbar unglücklich werden, so sie durch irgend einen Zufall dasselbe verlieren. Sie sagen ferner noch hinzu: Wenn die Menschen durchaus blind geboren wären, so hätten sie auch nie etwas wegen dem Verlust des Lichtes zu sorgen, sei es doch für ein lichtgewohntes Auge das größte Unglück, blind zu werden. Dagegen wenden freilich wieder die Gegner ein und sagen: In solch einem blindglücklichen Zustande wäre dann ja zwischen einem Menschen und einem Polypen im tiefen Meeresgrunde gar kein Unterschied; denn wenn ein Mensch keine Dinge sehen würde, so könnte er sich auch nie irgend einen oder den andern Begriff machen. In Ermangelung der Begriffe aber ließe sich dann eine große Frage stellen, nämlich, wie es mit dem Denken aussehen möchte in Ermangelung aller Begriffe und Formen desselben? Bezüglich des Unglückes zufolge einer allfälligen Erblindung sprechen sich die Lichtverteidiger also aus: Wenn man sie als ein Unglück betrachten will und dies als einen Mitgrund gegen das Licht aufstellt, so kann man solches ja auch bezüglich der andern Sinne tun, welche nicht vom Lichte abhängen. Um aber demnach jedem Unglücke zu begegnen, müßte der Mensch vollkommen sinnenlos in die Nacht hineingeboren werden. Wie sich aber das Denken eines sinnenlosen Menschen gestalten möchte, solches könnte man am besten von einem Steine erfahren. - Siehe nun, hochweiser Mann, in solchem Wirrwarr schwebt unsere große Gesellschaft. Wir hoffen mit großer Zuversicht, daß du diesen Knoten lösen wirst.
8
Der Vernunftrepräsentant spricht: Höret, meine schätzenswertesten Freunde! Das ist ein überaus kritischer Fall, denn da hat eine jede Partei für sich recht. Da aber zufolge der Erkenntnis der reinen Vernunft es nur ein Recht und nicht zwei Rechte gibt, so wird es hier ziemlich schwer sein, zwischen diesen zwei unrechten Rechten das rechte Recht zu bestimmen. Wir werden dieses nur dann finden, wenn wir unsere eigene Wesenheit als ein individuelles Dasein in die gerechten Schranken ziehen, und so höret denn! Wir wollen hier Grundsätze aufstellen und aus diesen Grundsätzen dann ein rechtes Resultat folgern. Um aber solches tun zu können, müssen wir zuerst ein Nichtdasein, ein konsumierendes Dasein und ein freies, denkendes Dasein voraussetzen. Ein Nichtdasein bedarf auch nichts; also keine Konsumtion. Ein bloß natürlich-konsumierendes Dasein setzt schon durch sein Dasein notwendig voraus, daß es nur da ist durch eine ihm entsprechende Konsumtion. Ein solches Dasein hat die ganze Materie, welche sowohl in der Nacht als im Lichte bestehen kann. Da aber der Mensch ein denkendes und sich selbst frei bestimmendes Wesen ist, so setzt ein solch höheres Dasein auch eine solche Konsumtion voraus, welche diesem Dasein entspricht, und der zu konsumierende Stoff kann da kein anderer sein als - das Licht. Und so bedarf das Nichtdasein vollkommen nichts; ein bloß konsumierendes Dasein als ein Produkt der Nacht braucht auch nichts als seine seinem Dasein vollends entsprechende Kost; und ein helles, freidenkendes Dasein bedarf dann auch notwendig derjenigen Kost, welche das Prinzip seines Daseins ist. So genügt jedes Prinzip seinem Produkte und muß notwendig für dasselbe da sein, und geht demnach aus dem Nichtdasein ein Nichtdasein, aus dem Dasein der Nacht ein Dasein des Nächtlichen und aus dem Dasein des Lichtes ein Dasein des dem Lichte Verwandten hervor. Insofern dann der Mensch zufolge seiner reinen Vernunft erkennt, daß er notwendigerweise dem Lichte entstammt, so muß er auch erkennen, daß das Licht in dieser Hinsicht ein ihm notwendiges Substrat ist; inwieweit er sich aber bloß als einen tierischen Konsumenten erschaut und sich selbst ein höheres, freidenkendes Leben streitig machen kann und kann sich wieder bilden zu einem Embryo im Mutterleibe, bedarf er des Lichtes nicht. Ein Nichtdasein aber bedarf weder des einen noch des andern. Und sehet nun, meine lieben Freunde, da ist der unumstößliche Grund fürs Licht so klar als möglich vor euere Augen und Ohren gestellt.
9
Der Anführer spricht: Höre, weiser Mann! Wir haben deine überragende Vernunft aus deiner Äußerung wohl erkannt und wissen nun genau, wie wir daran sind, aber nur ein einziger Punkt ist noch im Hintergrunde, und da wissen wir uns noch nicht einen vollgültigen Bescheid zu geben. Dieser Punkt besteht darin, nämlich: Warum benötigen auf den Erdkörpern all die zahllosen vegetativen Produkte samt dem zahllosen Tiergattungsreiche zuallermeist des Lichtes zu ihrer Vegetation und zu ihrem tierischen Gedeihen? Es ist allen Naturgelehrten nur zu bekannt, daß in einem gänzlich lichtlosen Raume beinahe keine Vegetation vonstatten geht, und die Tiere in gänzlich lichtlosen Räumen gar bald erkranken und gänzlich zugrunde gehen. Und dennoch scheinen sie nach deinem Ausspruche keine notwendigen Konsumenten des Lichtes zu sein, indem sie durchaus keine denkenden Wesen sind, und auch zur gründlichen Folge ihrer scharf beurteilten Wesenheit nicht sein können. Diesen Einwurf machen wir ja nicht, als wollten wir dadurch deine reine Ansicht bemängeln, sondern um uns selbst aus jeder uns erwartenden Schlinge zu ziehen.
10
Der Vernunftpräses spricht: Mir ganz willkommen dieser Einwurf; wir wollen ihn sobald vor das helle Richteramt der reinen Vernunft ziehen, und so höret denn! Vermöge der notwendigen Stummheit in Hinsicht der eigenen Existenz würden diese Dinge sowenig des Lichtes bedürfen, als dessen bedarf der finstere Mittelpunkt eines Weltkörpers. Da aber neben ihnen auch wir als Produkte des Lichtes existieren, so können wir doch unmöglich den umgekehrten Schluß annehmen, daß wir ihretwegen da sind, sowenig, als irgendein Mensch sagen kann: Ich bin da, damit dieses Haus von mir bewohnt wird und ich demselben diene, sondern daß das Haus des Menschen wegen da ist, aber nicht der Mensch für das Haus. Wenn uns demnach aber das Licht gezeugt hat, so mußte es ja doch notwendig voraus diejenigen Bedingungen aus sich aufstellen, welche zu unserer lichtverwandten Existenz notwendig sind. Und so bedürfen die von euch ausgesprochenen Dinge auch notwendig des Lichtes, damit sie unserem lichtverwandten Bedürfnisse zur Konsumtion dienen können. Ich meine aber hier etwa nicht die Konsumtion des tierischen Magens, der auch in einer finsteren Kammer gesättigt werden kann, sondern die höhere Konsumtion des Geistes, der sich nur an den Begriffen und Formen, die gleich ihm dem Lichte entstammen, sättigen kann. Ein Baum im Mittelpunkte der Erde wird dem Geiste mit all seinen Früchten so lange zu keiner Sättigung dienen bevor er nicht selbst ans Licht gebracht und dem Lichte verwandt wird. Seht, meine lieben Freunde, da habt ihr euren zweifelhaften Punkt gelöst. Sollte euch noch etwas dunkel sein, so wollet es nur ganz offenherzig kundgeben!
11
Der Anführer spricht: Geschätzter, hochweiser Mann! Nachdem du allerrichtigst dein Urteil für das Licht ausgesprochen hast, so wirst du mir auch eine Frage in bezug auf dich selbst gütigst gestatten wollen. Diese Frage lautet: Worin liegt denn wohl der Grund, demzufolge du als weisester Licht-Rechtsprecher dir deine Wohnung in diesem ganz lichtabseitigen Winkel errichtet hast?
12
Der Vernunftrepräsentant spricht: Der Grund ist weiser, als du ihn zu fassen vermagst. Wenn wir die Dinge im Lichte schauen wollen und sie rein beleuchtet voneinander unterscheiden, so müssen wir den mathematisch richtigen Grundsätzen der Optik zufolge uns selbst nicht ins Licht stellen, sondern auf einen Punkt, der hinreichend beschattet ist. Dadurch wird unser Sehvermögen gestärkt und die uns gegenüberstehenden Objekte werden wir also in den schärfsten Umrissen erblicken! So du aber deine Augen gegen das Licht wendest, so werden sie von selbem geblendet, und du wirst die Gegenstände dunstig, unrichtig erblicken, und wirst dich stets mit deren Schattenseite begnügen müssen. Und so ist meine Wohnung nur dem leuchtenden Körper, nicht aber dem praktischen Lichte abgewandt. Aus diesem kannst du ersehen, daß meine Wohnung nicht lichtabseitig, sondern nur dem dienstbaren Lichte allerwohlberechnetst zugewandt ist. - Wenn du noch andere Anstände findest, so sollst du an mir allzeit den unermüdet bereitwilligsten Mann finden, der dich in allem, was nur immer in seinem Vermögen steht, zufriedenstellen wird.
13
Und der Anführer fragt den Vernunftpräses und sagt: Ich habe nun wieder ersehen, wie du alles nach den wohlberechnetsten Grundsätzen denkst, sprichst und handelst; und so habe ich noch eine große Lust, von dir zu erfahren, warum du dich als Lichtkostverteidiger in solch einer unwirtlichsten Gegend angesiedelt hast, die für den tierischen Magen ebensowenig wie für den geistigen darbietet. Ist es nicht jammerschade für dich, daß du dich nicht zum wahren Segen vieler gar schwach vernünftiger Menschen in einer reicheren Gegend niedergelassen hast, wo du selbst mehr Nahrung für deinen Geist finden würdest und könntest dadurch auch für die schwachen Geister eine kräftige Kost aus den vielfachen, deinem Geiste begegnenden Lichtstrahlen bereiten?
14
Meine lieben Freunde! Über diesen Punkt eurer Frage soll euch sogleich ein hinreichendes Licht gegeben werden. -