Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 24 -
Jenseitiger Ort und Zustand der Stoiker
Also wendet euch nur um und sehet über eure rechte Hand in das vorbesagte Tal und gebet mir kund, wie ihr dasselbe findet. Ihr saget: Lieber Freund und Bruder, hier sieht es ganz entsetzlich öde aus. Wir sehen wohl hier und da auf den Gebirgsabhängen eine Art Krummholz wachsen, und mehr in der Tiefe dieses überaus engen Tales erblicken wir hier und da Dornhecken, welche einige uns bekannte Beeren tragen. Noch mehr in der Niederung des Tales erschauen wir mancherlei distelartiges Unkraut ziemlich häufig vorkommen. - Der nördlich abendliche Abhang sieht überaus kahl aus; fast nichts als Felswände über Felswände türmen sich übereinander auf, und zwischen den Felsenklüften stürzt hier und da ein mächtiger Bach in die Tiefe herab. Nur die gegen Morgen gelegene Gebirgserhöhung ist etwas sanfter und hier und da mit einer unansehnlichen Hochalpenhütte geziert. Aber Einwohner sind da keine zu erblicken. Vielleicht befinden sie sich tiefer im Tale; da im Vordergrunde ist nichts Lebendiges zu erschauen.
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Ja, ihr habt recht. Von diesem Standpunkte aus, wo wir uns gegenwärtig befinden, ist solches wohl nicht leicht möglich. Daher wollen wir uns ein wenig taleinwärts begeben, und wir werden sobald auf etwas Lebendiges stoßen. Sehet nur da hinauf, wo auf einem bemoosten Felsenvorsprunge die erste uns erreichbare Wohnhütte steht; dahin wollen wir uns begeben. Wir sind bereits in ihrer Nähe, schärfet daher eure Blicke und habt wohl acht, was sich denselben darstellen wird. - Nun, ihr habt meinen Rat befolgt. Saget mir denn auch, was ihr gesehen habt.
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Ihr sagt schon wieder: Aber um Gottes willen, das sind ja doch keine Menschen, denn sie sehen aus wie belebte Skelette und sind dabei so klein wie Zwerge. Wir möchten sie eher zu den Affen zählen als zu irgendeinem menschlichen Geschlechte. Was hat es denn mit diesen armen Wesen wohl für eine Bewandtnis? So armselig, ausgehungert und völlig nackt; nein, mit diesen Wesen scheint es durchaus keine vorteilhafte Bewandtnis zu haben.
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Einesteils habt ihr wohl recht, aber andernteils wieder nicht. Denn diese Wesen, so armselig sie euch auch erscheinen, sind aber dennoch in ihrer Art, d.h. von ihnen selbst aus betrachtet, es mitnichten. Denn da sind die sogenannten Stoiker zu Hause, oder mit anderen Worten gesagt: Menschen, die sich selbst vollkommen genügen. Sie handelten bei ihrem Leibesleben auf der Erde rechtschaffen, aber nicht etwa aus Liebe zu dem Nächsten und noch weniger aus irgendeiner Liebe zu Gott, sondern lediglich darum, weil sie darin den Sieg ihrer Vernunft erkannten. Sie sagten: Der Mensch braucht nichts, weder Himmel noch Hölle noch einen Gott, sondern allein sich selbst und die ihn leitende Vernunft als oberstes Handlungsprinzip, und er wird also handeln, daß er mit seiner Handlungsweise niemand anderen beeinträchtigt, aus welchem Grunde er solches auch von seinem Nebenmenschen erwarten kann.
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Denn, sagen sie ferner noch, wenn ich mich zufolge des höchsten Prinzipes meiner Vernunft über alle weltlichen Nichtigkeiten hinaussetze und von der Welt nichts verlange als eine kärgliche Sättigung meines Magens und eine einfachste Decke über meinen Leib, so bin ich dafür niemandem eine Steuer schuldig. Was mein Magen verzehrt, das gebe ich wieder der Erde zurück, und die Decke meines Leibes mag das Erdreich mit der Zeit düngen. Ich aber bin zwischen diesen zwei Bedürfnissen ein mich selbst leitender und vollkommen beherrschender Gott und bin somit ein unumschränkter Herr meiner eigenen Wesenheit!
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Sie sagen ferner noch: So es irgendeinen Gott gibt oder geben soll, was kann der mir geben und was nehmen, wenn ich in mir selbst groß bin, mit Verachtung auf alles hinzublicken, was er mir geben oder nehmen will? Was aber sollte auch mir ein Gott geben oder nehmen? Das Höchste wäre dieses matte Leben, das ich schon lange mit meiner Vernunft tief zu verachten gelernt habe. Oder steht es nicht bei mir, so lange zu leben, als ich will? Wenn ich es mit dem obersten Prinzip meiner Vernunft vereinbart finden würde, mir das Leben zu nehmen, so würde ich es auch tun. Allein die von mir aus selbst erkannte Rechtschaffenheit lehrt mich, daß solches wider das Recht der obersten Vernunft wäre; wer mir das Leben gegeben hat, der soll auch das Recht haben, es mir wieder zu nehmen. Es hat ja die Natur das Recht, diejenige Nahrung, die ich von ihr entlehnt habe, auf dem natürlichen Wege zurückzufordern, und die Decke meines Leibes ist ein Eigentum der Zeit, und sie nimmt dieses Pfand ebenfalls wieder zurück. Solches muß die reine Vernunft billigen, muß sagen und sagt es auch: Jedem das Seinige! Aber eben dadurch, daß der Mensch in seiner Vernunft auch nicht ein Sonnenstäubchen ihm zu eigen anspricht, ist er das erhabenste Wesen, ja erhaben über jeden Gott, über jeden Himmel und steht mächtig über aller Hölle. Wenn jeder Mensch so dächte, so hätte ein jeder genug, und keiner würde dem andern je zur Last fallen. Fern wären da alle Habsucht, aller Neid, aller Geiz, aller Hochmut, alle Herrschsucht, aller Fraß und alle Völlerei, alle Unzucht, alle Lüge und aller Betrug. Wo aber lebt ein Gott, so er ist der Vernunft alleroberstes Prinzip, der da gegen solche Grundsätze des Lebens etwas einzuwenden hätte? Hat er aber etwas einzuwenden, dann ist er kein Gott und steht tief unter der Erhabenheit der menschlichen Vernunft.
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Nun sehet, diese Menschen haben auf der Welt so gelebt, daß sie sogar einer Fliege nie etwas entzogen haben; sind nie jemandem zur Last gefallen, haben auch nie jemanden nur im geringsten beleidigt. Über Leidenschaften von was immer für einer Art waren sie hoch erhaben. Hat sie jemand um irgendeine Gefälligkeit oder um einen Dienst ersucht, so versagten sie ihm denselben nie, wenn er mit ihren Vernunftsrechtsprinzipien nicht im Widerspruche war und verlangten nie ein Entgeld dafür. Hat man sie zu Ämtern und Ehrenstellen erheben wollen, so nahmen sie solche nie an, zeigten einem solchen Mäzen mit zwei Fingern an die Stirne und sagten zu ihm: Freund, dahier wohnt des Menschen höchstes Amt und seine größte Ehrenstelle.
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Wenn ihr nun diese Menschen betrachtet, so urteilet selbst, ob sie sich einer Züchtigung teilhaftig gemacht haben. Ihr müsset sagen: Solches sicher mitnichten. Weitere Frage: Haben sie sich eines Lohnes fähig gemacht? Hier fragt es sich, mit welchem Lohne sollen sie belohnt werden? Den Himmel verachten sie, und Gott wollen sie auch nicht über ihre Vernunft anerkennen. Somit ist ja doch das Billigste, daß sie belassen werden in dem Lohne, den ihnen ihre eigene Vernunft beschert.
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Aber ihr saget und fraget: Fällt diesen armseligen Wesen ihr kläglicher Zustand nicht auf? - O nein, das ist eben ihr größter Triumph, denn schon auf der Erde haben sie die Glückseligkeit einer Mücke für höchst beneidenswert gefunden und sagten: Sehet, eine überaus herrliche Mahlzeit für dieses Tierchen ist ein kaum sichtbarer Tautropfen auf einem Blatte. Dieses Tierchens ganzer Bau scheint ein sehr geringes Bedürfnis zu haben. Wenn wir dagegen unseren überaus verschwenderischen Körperbau betrachten, so kann da die Vernunft denselben nur mit allem Rechte tadeln. Also muß ich einen großen Bauch haben, um viel zu fressen und darauf viel Kot zu lassen. Einen sonstigen Zweck findet hier die Vernunft nicht, und zwar aus dem Grunde, weil sie sich gern mit dem Kleinsten begnügen möchte, wenn es ihr der höchst unökonomisch eingerichtete Bau ihres nutzlosen Leibes gestattete.
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Sie bekritteln ferner das viele Fleisch an den Füßen, am Gesäß, auf den Händen und allenthalben, wo es sich vorfindet, und sagen: Die Mücke entbehrt alles dessen, und sie ist schon darum um vieles glücklicher als der plump und unökonomisch gestaltete Mensch.
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Wenn ihr nun dieses wisset, so wird euch auch die kleine Skelettgestalt dieser Menschen nicht mehr so kläglich und armselig vorkommen wie gleich beim ersten Anblicke, denn sie entspricht so viel als möglich vollkommen ihren Vernunftprinzipen. - Ihr saget nun: Solches ist alles richtig, und wir sehen es jetzt klar ein, daß es hier nun also nicht anders sein kann, und daß sich diese Menschen in einer anderen Gestalt und unter anderen Verhältnissen unglücklicher fühlen würden, als gerade in diesen, die sie als die ihnen am meisten zusagenden erkennen. - Aber eine andere Frage steckt hier im Hintergrunde, lieber Freund!
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Ist diesen Menschen denn auf keine Weise beizukommen, um sie auf einen besseren Weg zu bringen?
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Liebe Freunde und Brüder! Es ist nicht leichtlich etwas Schwereres als dieses. Sie haben nur eine einzige zugängliche Seite, und dieses ist der wissenschaftliche Weg. Es gehört aber eine grenzenlose Geduld und Ausharrung dazu, um diesen Vernunftkrämern auf diesem Wege etwas so darzustellen, daß sie es für richtig und ihrer Vernunft nicht widersprechend erkennen. Sie sagen: Es kann gar vieles wissenschaftlich vollkommen richtig sein, ob es aber auch mit den Prinzipien der Vernunft vollkommen übereinstimmt, das ist eine andere Frage. Um diesen Ausspruch als vollgültig zu bekräftigen, zählen sie eine Menge wissenschaftlicher Fälle auf, welche an und für sich vollkommen richtig sind, aber dennoch mit den obersten Grundsätzen der Vernunft im größten Widerspruche stehen. Ich will euch beispielsweise nur einige solcher Einwürfe kundgeben.
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Sie sagen z.B.: Die Berechnung einer Finsternis ist wissenschaftlich vollkommen richtig; fraget aber die Vernunft und ihren Handlanger, den Verstand, wozu die zufällige Finsternis gut ist, und was hat durch die Wissenschaft die ganze Menschheit dabei Erhebliches gewonnen? - Also ist es auch wissenschaftlich richtig, daß der Mensch in der zu sich genommenen Nahrung so und so viel zur Unterhaltung seiner Leibesteile aufnimmt und so und so viel von der zu sich genommenen Nahrung als Unrat wieder von sich wegschafft. Wenn ihr aber die Vernunft fraget, so kann diese nur lachen über solch einen übel und unzweckmäßig berechneten Verhältnisstand. - Ferner ist es wissenschaftlich richtig, daß das Wasser und auch andere bewegliche Teile der Tiefe zugetrieben werden durch ihre eigene ihnen innewohnende Schwere. Was sagt aber die Vernunft dazu, wenn sie ihre Augen an den kahlen Gebirgswänden weiden muß, auf denen nicht einmal ein Moospflänzchen fortkommen kann, weil solche erhabenen Weltteile einer gerechten, stetig nährenden Feuchtigkeit entbehren müssen. - Sehet, aus diesen wenigen Beispielen könnet ihr zur Genüge erschauen, wie schwer es ist, für diese kritischen Vernunftköpfe ein wissenschaftliches Beispiel aufzustellen, welches von ihnen als vollkommen mit der Vernunft im Einklang stehend erkannt wird. Damit ihr aber die Art und Weise einer solchen Bekehrung völlig erschauen und begreifen möget, so wollen wir fürs nächste Mal einer solchen beiwohnen. - Und somit gut für heute!