Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 18 -
Die jenseitige Gestaltung des Wuchers
Bevor wir uns diesem anderen Tale nähern, will ich euch noch eine Frage, die ihr an mich gestellt habt, kurz beantworten. Ihr möchtet wissen, ob solches etwa gar die Hölle ist, was ihr vordem gesehen habt. Ich kann euch darauf weder ja noch nein zur Antwort geben, sondern euch nur sagen; daß solches, was ihr da gesehen habt, wohl höllischer Art ist, aber die Hölle an und für sich ist es nicht; denn was sich da zeigt, ist nichts anderes, als eine für sich abgeschlossene Anschauung des Lasters, vorzugsweise in Hinsicht auf die Begierlichkeit des Menschen. Wo ihr die verzehrtesten Wesen gesehen habt, da ist auch das Laster schon in ähnlichem Zustande; wo ihr aber noch vollkommenere Erscheinungen fleischlich tätig gesehen habt, da ist die Lastertatkraft aus der argen Begierde heraus auch noch mit der Lastertätigkeitsfähigkeit mehr und mehr verbunden. Solches gibt sich ja auf eurer Erde klar und deutlich kund; denn ihr werdet doch schon sicher auf Menschen gestoßen sein, die durch ihr vielfaches Sündigen ihre fleischliche Natur so ganz und gar verwüstend herabgestimmt haben, daß sie dieselbe durch alle künstlichen Reizmittel nicht wieder für einen völligen Fleischeslustgenuß zu erwecken imstande sind. Sehet, solche erscheinen hier im Vordergrunde, weil sie dann und wann doch einen Gedanken in sich aufkommen lassen, der ihnen die Nichtigkeit und Vergänglichkeit alles solchen Genusses zeigt. Im Hintergrunde aber habt ihr diejenigen erschaut, bei denen die Kraft der Begierde auch mit der Lastertatkraft noch mehr im Einklange steht. Da sehet nur ähnliche Menschen auf der Erde; so lange sie noch bei solchen Kräften sind, wie sie förmlich hazardieren und, wie ihr zu sagen pfleget, Schindluder treiben mit ihrem Leibe.
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Aus diesem könnt ihr nun ersehen, daß das von euch Geschaute weder die Hölle noch die Nichthölle, sondern nur das Höllischgeartete des Lasters erscheinlich ist. - Und da wir nun solches wissen, so verfügen wir uns eben mit dieser Kenntnis zum nächsten vorbesagten Tale. -
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Sehet, dieses Tal ist von dem uns bekannten nur durch einen niederen und ziemlich schmutzigen Gebirgsrücken getrennt. Wir dürfen somit nur diesen übersteigen, und wir werden sobald das Wesen des anderen Tales erschauen. - Ihr wollt es, und wir sind schon auf der Höhe des Bergrückens. Sehet da unten das neue Dorf; wie gefällt es euch? Ihr saget: In der Entfernung nimmt es sich beinahe besser aus, als das vorige; nur der Umstand, daß es sich mehr abendlich befindet, läßt uns nicht viel Gutes erwarten vom selben. - Ja, ihr habt recht; also wird es auch sein.
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Ihr fragt mich, warum diese Gebäude viel größer sind und im ganzen viel respektabler denn die des früheren Dorfes. Ich sage euch: Bewegen wir uns nur gleich hinab ins Dorf, und zwar zu seinem Anfange, und ihr werdet sobald die Antwort auf eure Frage finden. - Nun, da wären wir schon vor dem ersten Hause. Es hat eine nach vornehin abgerundete, schmutzigweiß übertünchte Wand, hat aber kein Fenster wie auch keinen Eingang von dieser vorderen Seite. Ihr fraget: Warum denn solches? Weil diese Seite dem Morgen zugekehrt ist, und dieser ist ein Greuel für die Bewohner dieses Dorfes. Sonach müssen wir uns schon hinter das Gebäude begeben, das freilich wohl etwas bergan steht, um das Innere eines solchen Wohnhauses zu erspähen. Da ist schon ein geräumiges Fenster; seht einmal hinein und saget mir, was ihr da erblickt.
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Oh, ihr fallet gleich beim ersten Hause schon zurück. Was wird es dann erst beim nächsten Hause mit euch für eine Bewandtnis haben? Ihr saget ganz erstaunt: Um Gotteswillen, das ist unerhört, unmenschlich, undenkbar! Im Hintergrunde saß auf einer breiten Bank ein menschliches Ungeheuer. Es hatte eine übermenschliche Dicke, einen mehr als das halbe Zimmer einnehmenden, abscheulich herabhängenden Bauch. Am Halse saß eine schmutzige Fettwulst auf der andern. Vor ihm standen eine Menge abgemagerter Skelettmenschen, drängten sich zu diesem allergrauslichsten Fettwanste hin und sie baten ihn, daß er sie auffressen möchte! - Und wirklich hatte dieses Ungeheuer auf einem starken Tisch vor sich mehrere schon ganz abgenagte Menschengerippe. Einige im Hintergrunde aber fluchten diesem Ungeheuer und wollten wütend auf dasselbe losstürzen. Doch sie wurden abgehalten von denjenigen, welchen das Ungeheuer versprach, von ihrem Fleische auch etwas zu verzehren und dasselbe in sein Fett zu verwandeln.
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Ihr fraget nun freilich: Was soll es denn mit diesem sonderbaren greuelhaften Bilde für eine Bewandtnis haben? Solches mag begreifen, wer es will; wir begreifen es einmal nicht. Ich aber sage euch, meine lieben Brüder und Freunde, wenn ihr solches nicht auf den ersten Augenblick begreifet und fasset, so müsset ihr ja völlig blind auf eurer Erde herumwandeln.
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Ist das nicht ein vortreffliches Bild eines Wucherers, und ganz besonders eines selbstsüchtigen Hauptindustrieritters, der sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, alles aufzuspeisen, was ihn nur immer zinserträglich umgibt? Bestimmet einmal die sättigende Grenze eines solchen Wucherers; geht seine Begierlichkeit nicht ins Unendliche? Würde er sich wohl nur das geringste Gewissen machen, so er die Schätze und Reichtümer der ganzen Welt an sich zu reißen vermöchte? Wird er wohl eine Träne vergießen, wenn er das Leben aller Witwen und Waisen der Erde an sich reißend aufzehren könnte?
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Ich sage euch: Die Armen laufen noch haufenweise zu ihm hin und opfern ihm all ihre Habe und Kräfte: für den schnödesten Sold lassen sie sich von ihm nahe gänzlich aufreiben und aufzehren. Andere tragen ihre wenigen Schätze zu ihm hin und preisen sich glücklich, so er dieselben nur gegen einen elenden Zins angenommen hat. Ja viele Betrogene gehen so weit, daß sie es förmlich für eine Notwendigkeit ansehen, daß sie von ihm nach Gestalt der Dinge ohne sein Verschulden haben geprellt werden müssen.
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Einige ebenfalls Habsüchtige, aber dabei doch weltlich unkluge arme Teufel, die Lumperei dieses Reichen einsehend, drohen ihm mit der Vernichtung und mit dem Tode. Allein die Interessenten unseres Wucherers, erkennend, daß sie mit dem Tode desselben noch eher zugrunde gingen denn bei der vollkommenen Sättigung desselben, verhindern soviel als möglich einen solchen Gewaltstreich.
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Nun, was sagt ihr denn zu diesem Bilde? Ist es nicht vortrefflich und zeigt dieses Laster im enthüllten Zustande, wie es ist? - Solches aber ist nur ein gutmütiger Anfang. Gehen wir daher zum nächsten, etwas größeren Hause und betrachten dessen Inneres.
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Sehet, wir sind schon am richtigen Fenster. Ihr müßt recht scharf hineinsehen; denn weil das Haus größer ist, und, wie ihr sehet, von rückwärts nur zwei verhältnismäßig kleine, schmutzige Fenster hat, darum ist es inwendig recht finster. Habt ihr schon gesehen, was sich da drinnen alles vorfindet? Ihr bebet zurück; das gilt mir schon für ein sicheres Zeichen, daß ihr das Innere gehörig gesehen habt. Aber ihr könnt nicht reden. Ich will es euch auch recht gerne glauben, denn derlei Anblicke machen selbst uns starke Geister gewaltig stutzen und das besonders aus dem Grunde, weil sie eben jetzt stets vielfältiger und merkwürdiger werdcn. Ich sehe aber hier, daß es notwendig sein wird, euch das Geschaute vorzusagen, weil ihr für ein solches Bild nicht leicht die rechten Worte finden dürftet.
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Ihr sahet hier ebenfalls im Hintergrunde ein scheußlich fett gemästetes Wesen. Dieses Wesen hatte einen entsetzlich aufgetriebenen Bauch, sein Kopf einen großen Rachen gleich dem einer Hyäne, seine Arme waren gestaltet wie ein Paar kräftigste Riesenschlangen, seine Füße waren gleich denen eines Bären. Auf seinem überaus großen Bauche war eine Art Altar aufgerichtet. In der Mitte dieses Altars ging ein zweischneidiger Spieß in die Höhe. Auf diesem Spieße erblicktet ihr eine Menge abgemagerter Menschenwesen aufgesteckt. Ein Schlangenarm war stets beschäftigt, die Gespießten vom Spieße herabzunehmen und sie dem Rachen des Vielfraßes zuzuführen. Ein anderer Schlangenarm griff nach allen Seiten umher nach den armseligen, in dieses schauerliche Gemach unglücklich verbannten Menschen, und den nächsten besten, den er ergriff, erdrückte er und schleuderte ihn dann auf den Spieß seines Bauchaltars. Das große Jammern der Unglücklichen machte seinen Arm nur um so tätiger. Sehet, das ist das Bild, das ihr geschaut habt.
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Wie gefällt es euch? Ihr saget: Ganz entsetzlich schlecht! und ferner: Das ist denn doch etwas zu stark. Auf der Erde geht es zwar arg zu; aber was dieses Bild betrifft, so scheint es doch offenbar eine bedeutende Übertreibung zu sein!
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Ich sage euch aber: Hier ist weder zuviel noch zuwenig, sondern allezeit die nackte Wahrheit. Blicket nur auf eurer Erde gewisse Handelsindustriehelden an. Nehmet einen Maßstab und bemesset den Rachen der Habsucht an demselben. Dann prüfet seine Arme, wie dieselben beschaffen sind, und ihr werdet finden, ob sie nicht völlig diesen gleichen. Der eine ist beschäftigt, stets einzuscharren, der andere, auf allen Wegen durch Schlauheit, List oder Gewalt Beute zu machen. Wenn er gar einen Fang gemacht hat, so wird dieser sogleich als ein Opfer der Habsucht auf den euch schon bekannten Altar gesteckt.
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Ihr fraget: Warum befindet sich denn dieser Altar gerade auf dem Bauche dieses Ungeheuers? Weil unter dem Bauche zu verstehen ist die allerschmutzigste Art der Habsucht, Selbstsucht und Eigenliebe. Der große Bauch bezeichnet die übermäßige Art solcher Liebe, und der Altar auf dem Bauche bezeichnet das weltlich Ehrsame und Erhabene und somit die stolze und hochmütige Art derlei großartiger Industrieritter.
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Was bedeutet denn das aufgestellte zweischneidige Schwert oder der Spieß am Altare? Solches solltet ihr wohl auf den ersten Augenblick erraten; habt ihr denn noch nie etwas vom Handels- oder Wechselrecht gehört? - Sehet, da ist es auf dem Altare! Daher darf sich nur irgendein armseliges Wesen fangen lassen, so wird es ergriffen, ohne alle Gnade, Schonung und Pardon auf das Recht hinaufgesteckt und somit mit solchem Rechte sogleich zu Tode gespießt.
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Ihr fraget noch: Wer sind denn dann die vielen Armseligen, die da fleißig abgefangen werden, und warum ist der Spieß zweischneidig? Die vielen Armseligen sind allerlei Menschen. Ein Teil, die dem Fange zunächst ausgeliefert sind, sind die Kleinhändler, ein Teil die, welche ihre Produkte notgedrungen an einen solchen Großspekulanten abliefern müssen, ein dritter Teil sind allerlei arme auswärtige Völker, die mit solch einem Hause in Handelsverbindungen stehen, ein vierter Teil sind andere kauflustige Menschen, ein fünfter Teil anderweitige Handelskompagnons, ein sechster Teil die dem Hause dienende Klasse und noch ein siebenter Teil sind solche, die unter allerlei Rücksichten und Beziehungen von einem solchen Hause abhängen. Für alle diese Klassen ist der zweischneidige Spieß in steter Bereitschaft. Aber wir hätten bald vergessen, was die doppelte Schneide des Spießes bedeutet.
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Solches ist ja doch auch leicht mit den Händen zu greifen. Die eine Seite bedeutet die kaufmännische Handelspolitik. Was bedeutet dann die zweite Schneide? Dasjenige, worauf sich die Handelspolitik stützt. Worauf stützt sie sich aber? Auf das ihr eingeräumte Recht, jeden Zweig ihrer Handlung so zu ergreifen, daß es ihr die sicheren Wucherprozente abwirft. Versteht ihr solches? Solltet ihr solches nicht genau verstehen, so schlaget irgend nach und sagt es mir, wo dem Handelsstande der Gewinn gesetzlich vorgeschrieben ist? Also schneidet der Spieß auf beiden Seiten; fürs erste durch die euch wohlbekannte kaufmännische Politik und auf der anderen Seite durch die unbeschränkte Gewinnsucht; und diese beiden Schneiden sind mit dem Handelsrechte so eng verbunden wie die zwei Schneiden mit einem Schwerte. Ist das Bild nicht treffend und zeigt, wie ich gesagt habe, nicht mehr und nicht weniger als die nackte Wahrheit?
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Ihr saget nun: Das Bild ist richtig; aber hier bleibt uns auch kein Zweifel mehr übrig, daß es in die unterste Hölle gehört! - Im Grunde habt ihr nicht ganz unrecht, allein, es bleibt beim früheren Ausspruche. Denn dieses alles bezeichnet nur das Laster an sich, ohne auf diejenigen Personen abzusehen, welche solch ein Laster wirklich verüben. Daher ist es höllischer Art, aber nicht die Hölle selbst; denn würdet ihr solches in der wirklichen Hölle zu schauen bekommen, da erginge es euch ganz anders schon bei einem fernen Anblicke, als es euch hier ergeht in der vollen Nähe eines solchen Lasterbildes.
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Sehet, es gibt noch eine Menge solcher Häuser in dieser schmutzigen Schlucht. Aber da in denselben das Laster der Habsucht stets innerlicher und daher ums Unaussprechliche greuelhafter dargestellt wird, und ihr schon den nächsten Anblick nicht mehr ertragen würdet, so lassen wir die Sache mit diesen zwei geschauten Häusern beschlossen sein. Denn wenn dieses Laster erst in die Sphäre der brennend habsüchtigen Eifersucht übergeht, da wird es dann auch schon rein höllisch und ist somit nicht geeignet für eure schwachen Augen. - Daher wollen wir uns fürs nächste Mal lieber in ein drittes Tal begeben; da werden wir wieder ganz neue Erscheinungen zu Gesichte bekommen, und so lassen wir es für heute bei dem bewendet sein!