Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 100 -
Die himmlische Bestimmung
Nun wendet sich der Prior zum Herrn und spricht: Höre mich allergnädigst an, o Du allmächtiger, liebevollster, heiliger Vater! Obschon Du auf ein Haar siehst und weißt, wie es in mir nun aussieht, so aber will ich dennoch reden vor Dir, weil Du es also wünschest. Was da deinen früheren liebevollsten, heiligen Antrag betrifft, so bin ich jetzt in keinem Zweifel mehr, als möchtest Du mir und meinen Brüdern das nicht gewähren, so wir Deinen Antrag angenommen hätten, denn Du bist ja überall die ewige Liebe, Treue, Wahrheit und Weisheit! Es ist wahr, wenn ich diese rein himmlischen Engelswesen betrachte, da eines herrlicher und schöner ist denn das andere, und ist jegliches in seiner Art unübertrefflich - und mein Herz dazu frage, ob es wohl zufrieden wäre mit solch einer unendlichen Gnade von Dir, so muß ich mir freilich auf die Brust schlagen und sagen: O Herr! Solch einer unendlichen Gnade bin ich nicht im geringsten würdig, denn zu himmlisch großherrlich wäre ein solcher Lohn für einen armseligen, zusammengeschrumpften, zölibatistischen irdischen Faulenzer. Denn fürwahr, im von Dir aus gesegneten Besitze einer solch rein himmlischen Ehehälfte oder ewigen Lebensgefährtin müßten allenfalls die Erdjahre, wenn sie hier gang und gäbe wären, ja gerade so vorüberhüpfen, wie muntere Heuschrecken an einem heißen Sommertage. Und von einer Langweile für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten könnte bei solchen nahe überhimmlischen Bewandtnissen wohl keine Rede sein.
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Aber, o Herr und Vater, ich sage ein großes Aber! Siehe, es ist schwer, vor Dir zu reden, besonders in solch einem Falle, wo man sich von Dir aus in einer doppelten Klemme zu befinden wähnt. Denn mit solch einem Lohne sich dadurch unzufrieden gegen Dich stellend, daß man denselben etwa einer höheren Seligkeit wegen ablehnen würde, kommt mir wenigstens vor, daß man sich gegen Deine unendliche Güte offenbar gröblich versündigen müßte. Denselben begierlichst und bereitwilligst annehmen würde ebensoviel heißen als sich desselben würdig fühlen, was bei unsereinem doch ewig nie der Fall sein kann. Daneben aber drängt sich dann auch eine innere geheime Frage auf, die da, wenigstens bei mir, also lautet:
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Siehe, zwei Güter stehen hier vor dir, ein himmlisch herrliches, nämlich dieser Himmel, und ein unendliches, nämlich Du, o Herr, Selbst! Wenn es dir, du armer Sünder (so klingt es in mir) zwischen diesen zwei Gütern zu wählen frei stünde, da muß ich offenbar bekennen, sei es jetzt Eigennutz oder sei es, was es wolle, da muß ich sagen: Herr, ich bleibe bei Dir und lasse aus Liebe zu Dir diesen überaus herrlichen Himmel, und wenn es noch viel herrlichere gäbe, wie dieser da ist, samt diesem allem fahren, freilich wohl vorausgesetzt, daß Dir, o Herr, so eine Wahl von meiner sündigen Seite angenehm ist. Denn ich möchte dadurch vor Dir, o Herr und Vater, nicht ans Licht gestellt haben, als wäre ich mit solch einem Himmel etwa unzufrieden. Oh, das sicher nicht, sondern ich würde Dich dafür nach aller meiner Kraft ewig loben, lieben und preisen als der Allerunwürdigste einer solchen unendlichen Gnade!
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Aber, o Herr, es ist schon wieder das Aber hier. Ich will damit nur so viel sagen: Wenn Du, o liebevollster Vater, etwa nicht also, wie Du jetzt hier bist, für immer hier verbleiben möchtest; wenn man Dich vielleicht hier zu höchst seltenen Malen zu sehen bekäme, da möchte ich mit Dir doch ums Endlosfache lieber in dem abgelegensten Winkel des ganzen unendlichen Himmels alle Ewigkeit zubringen, als hier nur eine Stunde ohne Dich, o Du heiliger, liebevollster Vater!
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Nun spricht der Herr: Nun gut; Ich habe aus dem Grunde deines Lebens vernommen und ersehen, daß deine Liebe zu Mir gerichtet ist und du wie auch deine Brüder Mir diese große himmlische Herrlichkeit zu einem angenehmen Opfer dargebracht haben und sage euch demnach, daß ihr eben durch dieses Opfer euch dieses herrlichen Himmels würdig gemacht habt. Für dich und deine Brüder ist hier die von Mir aus gesetzte Bestimmung; und daher könnet ihr auch nun sorglos wählen nach eurer freien Herzenslust. Ein jeder von euch hat einen solchen herrlichen Palast zu übernehmen, und zu nehmen ein ihm vollkommen wohlgefälliges Himmelsweib und hat dann als Herr eines solchen Gutes keine andere Verpflichtung über sich, als fürs erste Mich als den Herrn und Vater ewig anzuerkennen und zu lieben und dann aber die nicht selten hier anlangenden armen neuen Ankömmlinge aufzunehmen, zu bewirten, zu bekleiden und sie durch liebevolle Unterweisung Mir, dem Vater, näherzubringen.
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Frage nicht, ob Ich beständig hier sichtbar so wie jetzt oder nicht sichtbar hier verbleiben werde; denn ob ich sichtbar oder nicht sichtbar bin, so bin Ich aber dennoch allzeit vollkommen gegenwärtig. Und wenn du diese Sonne hier ansehen wirst, dann denke, darinnen wohnt dein Vater. Und diese Sonne, welche so sanft diese Gegend erwärmt und alles so herrlich erleuchtet, geht hier nie unter, und du wirst sie allzeit sehen und das Antlitz deiner Liebe nimmer abwenden von ihr.
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Wann immer du Mich aber in der höchsten Liebe zu Mir werktätig ergreifen wirst, da werde Ich auch alsbald so wie jetzt bei dir wie bei deinen Brüdern persönlich wesenhaft sichtbar da sein.
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In deinem neuen Hause in diesem Himmel aber wirst du eine weiße Tafel finden. Diese beschaue von Zeit zu Zeit nach Umstand deiner Liebetätigkeit, so wirst du darauf Meinen Willen kundgetan erschauen.
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Das Weib aber, das Ich dir hier geben werde, liebe also wie dich selbst. Sei eins mit ihr, auf daß du mit ihr darstellest einen vollkommenen Menschen, welcher ist in dem vollkommenen himmlischen Wahren und Liebtätigkeitsguten. - In diesem Weibe wirst du fühlen die Macht deiner Liebe zu Mir und das Weib die Macht Meiner Weisheit in Dir; und so werdet ihr sein wie eins in Meiner ewigen Liebe und Weisheit. Der höchste Grad eurer Wonne wird dann sein, wann immer ihr in der Liebe zu Mir völlig eins werdet.
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Du sollst hier nicht sorgen um die Nahrung noch um was immer für ein anderes Bedürfnis, denn für alles das ist hier von Mir schon für alle Ewigkeiten gesorgt. Denn es ist ein Reich, welches Ich von Anbeginn denen bereitet habe, die Mich lieben, es ist das große, heilige Erbe an alle Meine Kinder, welches Ich ihnen bereitet habe am Kreuze! Daher nehmet es von Mir als dem alleinigen Geber aller guten Gaben an und genießet dessen übergroße Herrlichkeiten und Schätze fürder und fürder ewiglich.
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Ihr sollet nicht altern in diesem Reiche, sondern ihr sollet seliger und seliger werden und stets kräftiger und jugendlicher und herrlicher! Solches also ist euer wohlgemessenes seliges Los. Daher gehet hin, wählet euch die ewigen Lebensgefährtinnen, damit Ich euch segne zur ewigen, endlosen Seligkeit! -
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Sehet, unser Prior wird beinahe schwindelig bei dieser wonnevollsten Seligkeit. Vor lauter Schüchternheit getraut er sich samt seinen Brüdern kaum seinen Fuß von der Stelle gegen die harrenden himmlischen Jungfrauen zu setzen. Aber der Herr gibt den Jungfrauen einen Wink, und sie eilen hin, und eine jede reicht dem ihr Bestimmten einen strahlenden Palmzweig hin. Mit der Annahme des Palmzweigs aber verwandeln sich auch die früher noch etwas ordinären Kleider der Mönche in entsprechende himmlische, und der Herr segnet sie nun, und sie alle fallen auf ihre Angesichter nieder und loben und preisen Ihn für solche unermeßliche Gnade.
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Aber sehet, dort im Hintergrunde der Mönche und Laienbrüder, welche hier den Mönchen ganz gleich sind, steht noch ein Laienbruder ohne Weib und Palmzweig, etwas traurig zusehend, wie da seine Brüder alle samt und sämtlich sind versorgt worden. Nur für ihn ist eine Jungfrau zu wenig bedacht worden, auch seine Kleider haben sich noch nicht verändert, daher er noch immer in seinem zwilchartigen Rocke erscheint. Was wird denn mit diesem nun geschehen? Wir wollen die Sache abwarten, denn der Herr wird seiner sicher nicht vergessen.
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Sehet aber nun, der Herr spricht zu den himmlisch Vermählten: Also lasset euch, Meine lieben Brüder, nach Hause geleiten von euren himmlischen Ehegenossinnen, und ein jeder nehme an Ort und Stelle den vollkommenen Besitz des von Mir ihm bereiteten ewigen Gutes!
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Unsere nun himmlischen Eheleute erheben sich, und der Prior bemerkt leidweslich unseren armen Laienbruder, wie dieser bei dieser Gelegenheit leer ausgegangen ist, wendet sich darob sogleich an den Herrn und spricht: O Herr, Du allerliebevollster, bester Vater! Ich kann Dich nicht genug loben und preisen für die Gnade, die Du uns allen erwiesen hast. Aber sieh, es ist dort im Hintergrunde ein armer Bruder noch ohne Weib und Gewand, mich dauert er überaus. O Herr, wenn es dir angenehm wäre, so möchte ich ihm lieber mein Gewand und mein Weib abtreten, als ihn so verwaist hier sehen müssen. Ich weiß zwar wohl, daß Deine unendliche Vatergüte für ihn schon bestens gesorgt hat; aber da ich auch von Dir aus ein liebendes und mitleidiges Herz habe, so muß ich dir offenbar gestehen: Wenn ich diesen armen Bruder nicht mir gleich selig wüßte, so möchte ich in Deinem allerheiligsten Namen lieber selbst mehrere tausend Jahre auf alle diese Seligkeit Verzicht leisten, als ihn nur einige Tage weniger selig zu wissen denn mich selbst.
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Der Herr spricht: Möchtest du wirklich dein Weib und dein Gewand und dein himmlisch Gut an diesen Bruder abtreten?
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Der Prior spricht: Ja, o Herr, auf der Stelle, und wenn ich auch selbst allein zurück müßte in mein früheres Blindkloster.
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Der Herr beruft den armen Laienbruder zu Sich und spricht zu ihm: Siehe, du bei dieser Gelegenheit etwas zu kurz gekommener Bruder dieser Gesellschaft, dein Bruder hier hat dich verwaist erblickt und sich deiner erbarmt also, daß er dir seinen Teil aus Liebe zu Mir und dir abtreten will; bist du damit zufrieden?
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Der arme Laienbruder spricht: O Herr! Was mich betrifft, so bin ich schon überseligst zufrieden, wenn ich nur hier auf diesem Punkte ewig darf sitzenbleiben und, Dich lobend und preisend, anschauen diese himmlischen Herrlichkeiten. Ich bin in diesem Falle überseligst zufrieden, wenn Du, o Herr, mir gestatten möchtest, in aller dieser meiner Dürftigkeit als ein allergeringster Diener im Hause eines der geringsten meiner Brüder zu sein, die Du, o Herr und Vater, zu Deinen himmlischen Bürgern für ewig gesegnet hast. Denn ich war ja auch auf der Erde der allerletzte im Kloster, der dem Kloster wenig genützt hat, sondern alle meine Tätigkeit war nichts als ein Almosen von seiten Deiner höheren Diener dieses Klosters, damit es doch nicht gänzlich das Ansehen hatte, als sollten sie mich als einen allerbarsten Faulenzer in ihrem Kloster bekleiden und ernähren. Also hatte ich ja durchaus nie etwas Verdienstliches auch nur um den geringsten Lohn gewirkt. Wie sollte ich demnach hier einen dieser meiner viel besseren Brüdern gleichen Lohn erwarten können?
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Der Herr spricht zum Prior: Nun, mein lieber Freund und Bruder! Was ist da zu machen? Siehe, dieser dein Bruder nimmt deinen Antrag auf keinen Fall an; was willst du nun tun?
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Der Prior spricht: O Herr und Vater! Da laß mich an ihm meine erste Bruderpflicht üben im Himmel. Ich will ihn aufnehmen in das von Dir mir geschenkte Haus, ihn dort mir gleich halten und ihn setzen wie zu einem Herrn über alle die Güter, die mir nun Deine Liebe, Gnade und Erbarmung beschert hat.
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Der Herr spricht: Da habe Ich wieder einen ganz anderen Plan. Weil du und dieser dein Bruder euch gegenseitig aus Liebe zu Mir habt ganz und gänzlich gefangennehmen lassen, so nehme auch Ich euch in Meiner Liebe gänzlich gefangen. Die Brüder hier, die sich schon mit ihren himmlischen Gattinnen in ihre Wohnungen zu ziehen angefangen haben, diese segnen wir. Du, dein Weib und dieser Bruder aber ziehet mit Mir dorthin, wo Ich ewig in dem allerhöchsten Himmel unter Meinen Kindern zu wohnen pflege!
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Sehet, der Prior, sein Weib und der Bruder fallen vor zu unendlich großer Entzückung vor dem Herrn nieder. Der Herr aber stärkt sie, erhebt sie und spricht: Nun, Meine Kindlein, folget Mir in Mein Haus! Sehet, sie ziehen, unbemerkt von den anderen Brüdern, dem ewigen, heiligen Morgen zu. Endlos weitgedehnte Reihen seliger Brüder begrüßen von allen Seiten diesen kleinen Zug und preisen den Herrn ob Seiner unendlichen Güte, Liebe und Erbarmung. Ziehen aber auch wir ihnen nach, damit wir auch die Einwohnung dieser drei neuen Himmelsbürger ersehen mögen! 101. Kapitel - Führen, Ziehen und Tragen in geistiger Bedeutung.
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Ich merke, in euch steckt eine geheime Frage, welche also lautet: Bezüglich der höchst erfreulichen Wendung des Priors waltet eine kleine Dunkelheit ob, hinsichtlich deren es sich darum handelt, die Sache des Priors vom eigentlichen, wohlerleuchteten Hauptzentrum zu fassen und richtig zu begreifen. - Der Herr hat ehedem ohne irgendeine vorbestimmende Bedingung dem Prior das Weib und himmlische Gut zugesagt und ihn gleich den anderen zu dem Behufe auch vollkommen gesegnet, ihm dabei auch ohne einen bedingenden Rückhalt seine Bestimmung und sein himmlisch amtliches Los ganz bestimmt vorgezeichnet, also wie Er es all den Übrigen vorgezeichnet hat. Er hat ihm wie den anderen die bestimmt göttlich himmlische Weisung gegeben, wie sie mit ihren himmlischen Engelsweibern zu leben haben und zeigte es ihm auch gleich den anderen an, daß Er allzeit persönlich wesenhaft jedem sobald erscheinen wird, sobald Ihn einer oder der andere mit aller Macht und Stärke seiner Liebe erfassen wird. In allen diesen himmlischen Verordnungen gibt der Herr dem Prior auch nicht den leisesten Wink, als hätte Er irgendeine sobald folgende höhere Absicht mit ihm.
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Wie kommt es denn nun, daß es auf einmal für den Prior mit der klar gesetzten Bestimmung ein Ende hat, und er und sein Weib bekommen ihr vom Herrn in diesem Himmel bestimmtes Gut nicht einmal zu sehen, sondern werden sogleich vom Herrn in den allerhöchsten Himmel geführt?
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Dieses ist etwas schwer zu begreifen, weil der Herr vorher, zufolge der bereitwilligen Annahme des Lohnes, sie alle samt dem Prior gesegnet und somit durch diesen Segen Seinen göttlich festen Willen mit den Beseligten, das heißt mit dem freien Willen der Beseligten vollkommen übereinstimmend ausgesprochen hat.
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Wenn Menschen so schnell einen Plan wechseln, so ist solches wohl gar leicht aus der Unvollkommenheit ihrer Erkenntnis zu erklären. Aber von der göttlich allerweisesten Seite ist solches, wie gesagt, etwas schwer zu begreifen, da der Herr doch sicher ganz bestimmt weiß, was es ist, darüber Er Sich höchst willensbestimmt ausspricht.
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Liebe Freunde und Brüder, sehet, eure geheime Frage ist auf bedeutende Doppelschrauben gestellt, aber dennoch läßt sich die Sache gar wohl vermitteln; denn darum ist auch eben diese Begebenheit so geleitet, damit ihr an derselben einen kleinen fruchtbringenden Anstoß nehmen sollet.
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Wenn ihr zurückdenket an jene Begebenheit im Kloster, als nach der Erlösung der seelenschlafenden Brüder hinter der Kluft unser Prior, wie kein anderer neben ihm, seinen noch unbekannten Mann aus übergroßer Liebe und Dankbarkeit umfassen und ihn zum Tische hintragen wollte. Wenn ihr euch erinnert, wie der schlichte Mann solches ablehnte und im Verlaufe der Ablehnungsrede ein gewisses geheimnisvolles ,,Vielleicht" ausgesprochen hat, durch welches Er dem Prior gewisserart zu verstehen gab, als hätte dieser Ihn schon einmal in seinen Händen getragen, so wird es bei einer gewissen näheren Betrachtung dieser Szene nicht gar zu schwer werden, diese jetzige Begebenheit zu begreifen.
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Die Sache mag euch wohl im Anfang etwas stutzen machen, aber bei uns im himmlischen Geisterreiche ist nicht immer da eins, zwei, drei, wo es bei euch auf der Erde so ist. Ihr dürftet aber auf der Erde dann und wann siebzig, dreihundert, fünfzehn zählen, und das wird bei uns dann eins, zwei, drei sein.
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Noch mehr beleuchtet: Ein Mensch lebt auf der Erde in einem südamerikanischen Länderteile, ein anderer in einem Winkel von Sibirien. Diese zwei sind in naturmäßiger Hinsicht weit auseinander, aber nicht so in geistiger. Denn da können sie füglich sein wie eins und zwei, also fest nebeneinander.
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Betrachten wir aber nun, was der Herr dem Prior durch das ominöse ,,Vielleicht" bezüglich seiner Tragung im Grunde des Grundes hat sagen wollen, so wird uns unsere Sache sogleich zusammenhängender und klarer erscheinen. Was also wollte der Herr dem Prior damit gesagt haben? Höret! Der Herr wollte dem Prior dadurch gesagt haben:
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Du meintest auf der Erde, Mich in deiner Brotesgestalt in deinen Händen getragen zu haben. Da hast du Mich aber nicht getragen. Aber du hast Mich mehrere Male ganz insgeheim in deinem Herzen getragen und glaubtest aber nicht völlig, Mich da zu tragen. Ich aber sage dir, daß du Mich eben da dennoch allein richtig getragen hast. - Nun sehet, bei solchen Bewandtnissen setzte der Herr das noch unerklärte ,,Vielleicht", weil in dem Prior noch keine vollkommene Bestimmtheit bezüglich der unendlichen Liebe, Erbarmung und Sanftmut des Herrn vorhanden war. Darum gab Er ihm auch zu verstehen, daß, so es auf das Tragen ankäme, leichter und eher Er den Prior, denn der Prior Ihn tragen würde.
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Nun aber habet wohl acht! Es liegt zwischen den drei Ausdrücken: ,,führen", ,,ziehen" und ,,tragen" im Reiche des Geistigen ein bedeutender Unterschied, welcher darin besteht: Wenn die Menschen vom Herrn geführt werden, so überkommen sie dadurch das Licht des Glaubens und gehen dadurch ein in den untersten Himmel.
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Wenn die Menschen vom Herrn gezogen werden, so heißt das soviel als: Die Liebe des Vaters hat sich über diese Menschen ergossen, und sie werden in die Liebe des Vaters aufgenommen, oder sie kommen in den zweiten Himmel, der da besteht aus dem Glaubenswahren durch das Licht der tätigen Liebe zum Herrn und daraus zum Nächsten.
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Wenn es aber heißt: Die Menschen werden vom Herrn getragen, so drückt das schon einen vollkommenen, kindlichen Zustand der Menschen aus, welche ganz und gar in die Liebe zum Herrn übergegangen sind, so daß sie Ihm auch den allerletzten Tropfen ihrer wenn noch so gedemütigten Eigenliebe in der allergrößten Selbstverleugnung zum Opfer dargebracht haben. Dadurch sind sie dann auch die eigentlich allerwahrhaftigsten Kinder Gottes und werden von Ihm als ihrem ewig allein wahren Vater in den allerhöchsten reinen Liebehimmel aufgenommen.
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Wenn ihr nun diese Unterschiede ein wenig beachtet, so wird euch die von euch beanstandete Erscheinung bezüglich der abgeänderten Bestimmung des Priors sicher nicht mehr so unvorbereitet erscheinen, als sie euch auf den ersten Augenblick erschien. Zudem aber hat der Herr in das vielsagende und vielumfassende ,,Vielleicht" auch schon diese Erscheinung mit hineingesetzt.
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Er hat damit verhülltermaßen nichts anderes sagen wollen als das: Ich werde dir eine Bestimmung geben vollkommen nach deiner freien Wahl, werde aber dabei bedacht sein darauf, daß du Mich dereinst getragen hast in deinem Herzen. Ich werde ganz unvorbereitetermaßen unter deinem Gesichtspunkte dir am völligen Abschnitte deiner ewigen Bestimmung eine kleine Gelegenheit verschaffen, durch welche es sich von dir freiheraus zeigen soll, inwieweit du Mich getragen hast und noch trägst in deinem Herzen, und inwieweit Ich dich dann dafür auch tragen werde. Ich aber will in solcher Periode Mein Auge ein wenig vor dir schließen, damit du ganz vollkommen frei aus dir handeln sollest. Nach der Handlung aber werde Ich dich erst ansehen und dich entweder segnen für deine himmlische Bestimmung, oder Ich als dein heiligster, liebevollster Vater werde dich auf Meine Hand nehmen und dich tragen als ein vollkommenes Kind in Meine Wohnstadt! -
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Sehet, nun hätten wir schon so ziemlich alles beisammen und brauchen daher nichts anderes mehr als die ganze Erklärung auf diese Begebenheit nur ganz oberflächlich anzupassen und eure ganze Frage ist beantwortet.
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Unser Prior hatte all seinen Brüdern gleich die vollkommene Bestimmung erreicht, welche auch vom Herrn vollkommen klar ausgesprochen ward. Warum denn? Damit der Prior in seiner Liebtätigkeitssphäre einen desto freieren Spielraum bekommen sollte, indem er durchaus auch nicht eine leiseste Ahnung hatte, welchen Plan der Herr noch mit ihm vorhabe.
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Darum mußte sich aber denn auch wie zufällig ein armer, vom Herrn schon gar lange zu dem Behufe auserlesener Laienbruder wie ganz stiefmütterlich behandelt im Hintergrunde vorfinden, welcher zwar an und für sich schon ohnehin für den obersten Himmel bestimmt war, aber hier sich noch unbewußtermaßen dennoch zu einem ganz tüchtigen Probiersteine der wahren Liebe zum Herrn und daraus zum Nächsten für den Prior hat müssen gebrauchen lassen. Der Herr wandte bei dieser Szene Sein allwissend und allsehend Auge ab und überließ dem Prior die vollkommen freieste eigene Liebtätigkeitshandlung. Der Prior, der einstens den Herrn im Herzen getragen hat, ward in sich nun erst völlig daraus gestärkt, fand sich in der vollkommenen Liebe zum Herrn und in der völligsten Verleugnung seiner selbst.
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Da sieht ihn der Herr an, ändert Seinen geheimen ewig allerweisesten Plan nach der freien Handlung des menschlichen Geistes, und der Erfolg liegt vor unseren Augen. Näheres werden wir am erhabensten Orte und an der heiligsten Stelle gemeinsam erfahren. -