Das Grosse Evangelium Johannes: Band 6
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Der Herr und die Tempelpriester
(Ev.Joh. Kap.5)
- Kapitel 85 -
Die Kunst des Lebens
Nach dem Abmachen wurden wir zum Mahle geladen und traten da in einen Speisesaal, der seinesgleichen in Jerusalem nicht hatte. In der Mitte des Saales war ein großer Tisch aus Zedernholz, bedeckt mit allerlei Speisen und mit den edelsten Weinen. Wir setzten uns denn dazu und aßen und tranken. Denn die früher gekauften Brote waren nicht gut und auch nicht groß, wie auch die etlichen armselig bereiteten Fische, - daher von uns davon auch nur ganz wenig genossen ward.
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Während des Essens wurde nicht viel geredet; aber als der gute Wein den Gästen die Zunge löste, da wurde es bald ganz lebhaft um den Tisch. Ich redete jedoch nicht, denn Ich saß zwischen dem erweckten Sohne und dessen Vater; diese aber hatten eine zu große Ehrfurcht vor Mir und getrauten sich nicht, Mich zu stören, während Ich Selbst aß und trank.
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Als Ich aber sagte, daß Ich nun zur Genüge gegessen und getrunken hätte, da erst fragte Mich der Zöllner, wie es Mir möglich wäre, sogar einem Toten das Leben wiederzugeben; denn es sei so etwas auf der Erde noch nie erhört worden.
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Ich aber sagte zu ihm: ,,Freund, des Menschen Geist, so er einmal ordnungsmäßig erweckt worden ist, kommt hinter mannigfache Geheimnisse, und wenn er ganz im Vollichte wach geworden ist, da kommt er auch hinter das große Geheimnis des Lebens und erkennt, daß er der Urheber alles Lebens ist. Aber es ist das eben die größte Kunst des Lebens, sich selbst als solches zu finden und zu erkennen!
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Du lebst auch und denkst, willst und wirst nach deinem Denken und Wollen tätig; aber du weißt nicht, was das Leben ist, wie es denkt und will, und wie es danach alle die Glieder in eine entsprechend tätige Bewegung setzt. Aber wer in sich das alles gefunden und wohl erkannt hat, der ist dann auch ein wahrer Meister seines Lebens, wie auch des Lebens seines Nebenmenschen geworden und kann dann auch das tun, was Ich an deinem Sohne getan habe. Ja, er kann noch mehr: Sieh, er kann sich selbst völlig unsterblich machen!
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So man bei der gegenwärtigen Blindheit, Selbstsucht, Habsucht, Neid, Eifersucht und Herrschsucht der Menschen Mich fangen und sogar töten wird, so wird das den argen Menschen nichts nützen; denn bevor drei Tage verrinnen werden, werde Ich Mich Selbst wieder erwecken vom Tode, dann fortleben ewig und noch Größeres wirken denn jetzt. - Das, was Ich dir nun gesagt habe, ist so wahr und so sicher, als wie wahr es ist, daß dein Sohn Jorabe tot war und nun vollkommen wieder lebt. Glaubst du das?"
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Sagte der Zöllner: ,,Daß du mir keine Unwahrheit verkündetest, dessen bin ich vollkommenst überzeugt; denn fürs erste lebt ja mein Sohn allein durch die Macht deiner geheimen Lebenskunst, die eine Folge deiner Wissenschaft sein wird, und fürs zweite haben solche Lehrsätze auch schon die alten, weisen Griechen aufgestellt. Ob sie aber je dir gleich hinter das große Geheimnis des Lebens mit ihrem Geiste gedrungen sind, das weiß ich nicht und erinnere mich auch nicht, je etwas davon gelesen oder sonst gehört zu haben.
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Die Fabeln von unseren Göttern und Halbgöttern erzählen freilich wohl so manche Wunderchen, die sie sollen ausgeübt haben; aber wer von nur einiger klaren Vernunft kann so etwas glauben?! Auch in den mystischen Schriften erzählt man viel von einem allmächtigen Gott, der aber von einer zahllosen Menge von allerlei sehr mächtigen Geistern umgeben sei, die stets seine Befehle auf das pünktlichste im ganzen Universum ausrichten und auswirken. Sie seien für die Menschen nicht sichtbar, sowie auch der Gott nicht, hätten aber etwa dennoch den vollkommensten Verstand und einen allermächtigsten Willen. Vor vielen hundert Jahren sollen sie sich den frommen Menschen gleich also gezeigt haben wie den Altgriechen ihre Götter und besonders die Halbgötter.
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Man ersieht bei einem ruhigen und unbefangenen Denken daraus, daß am Ende die Götter- und Lebenslehren der Griechen und Juden auf ein und dasselbe hinauslaufen. Alles ist in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt, und so viele und große Mühe sich auch die größten Weisen aller Zeiten und Völker gegeben haben, so haben sie dennoch nie vermocht, den höchst verhängnisvollen Schleier der Isis zu lichten, und wir Sterblichen stehen daher noch auf demselben unentwirrten gordischen Knoten, auf welchem unsere Vormenschen vor vielen tausend Jahren gestanden sind.
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Du wärest nun wohl der einzige und alleinige, der diesen Knoten wahrhaftigst entwirrt hat, und so möchte ich dich als nun einen wahrsten Meister des Lebens bitten, mir und eigentlich schon uns allen die große Kunst zu zeigen, wie man denn ganz sicher hinter das Geheimnis des Lebens kommt, dasselbe erkennt und endlich selbst ein Meister des Lebens wird. Du hast es offenbar dahin gebracht und mußt dazu denn auch die Mittel und Wege wohl kennen. Weil du sie aber kennen mußt, so wäre es wohl eine große Gnade von dir an uns, wenn du uns solche näher bezeichnen möchtest.
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Es ist diese Bitte von mir dir als einem so großen Künstler gegenüber wohl außerordentlich dreist, da ein jeder wahre Künstler seine Kunst als sein teuerstes Gut betrachtet und auch betrachten muß und ich auch gar wohl weiß, daß eine noch so große Kunst von ihrem großen Werte dadurch ein bedeutendes einbüßt, so sie allgemein unter den Menschen gang und gäbe wird; aber da solche deine Kunst wenigstens für den besseren Teil der Menschen eine allererste Hauptlebensfrage wäre und durch ihre sichere Lösung den Menschen das größte und unschätzbar wertvollste Lebensglück beschieden wäre, so möchte ich nur für einige Winke, wie man sicher hinter dieses Geheimnis kommt, zum Wohle der Menschen wahrlich drei Vierteile meiner größten Schätze dir geben. Du würdest dadurch offenbar nichts verlieren, und wir würden dadurch Unendliches gewinnen! - Was sagst du, großer Meister, zu diesem meinem dir nun gemachten Antrage?"