Das Grosse Evangelium Johannes: Band 6
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Der Herr auf dem Ölberg
(Ev. Joh. Kap. 8)
- Kapitel 210 -
Die Zweifel der Pharisäer über den Herrn als Messias
Darauf sagte ein Pharisäer mit stark verlegener Stimme: ,,Es ist das alles ganz außerordentlich, und es ist noch nicht erhört worden, daß Menschen solche Taten jemals verrichtet hätten! Aber wir haben auch schon andere Magier gesehen, die auch unbegreifliche Dinge zustande gebracht haben, - ob mit natürlichen Mitteln, oder ob irgend mit Hilfe dienstbarer Geister, das sind wir nicht zu beurteilen imstande. Und so kann dieser Mensch auch Geheimnisse besitzen, die er sich irgend durch sein großes Talent zu eigen gemacht hat, und hinter die er niemanden wird sehen lassen. Bevor man dann so einen Menschen noch für einen Gott annehmen kann, muß man wohl vieles und eigentlich schon gar alles prüfen und daraus erst ersehen, wen man da so ganz eigentlich vor sich hat. Ich bestreite nicht die Möglichkeit, daß er der wahre Messias sein kann; aber das ohne eine gehörige Prüfung annehmen, ist immerhin eine bedenkliche Sache.
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Bei uns Juden gibt es ein Gesetz, demnach es nur einen Gott gibt, an den wir glauben sollen, und wir sollen keine fremden Götter neben Ihm haben. Nehmen wir diesen auch als einen Gott an, was ist dann mit dem alten Gesetze? Dann müssen wir an zwei Götter glauben, zuerst an einen sichtbaren, der uns hier am nächsten wäre, und dann an den unsichtbaren, von dem es auch heißt, daß Ihn kein Sterblicher sehen und dabei das Leben behalten kann.
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Ihr Römer habt es da mit eurer Götterlehre um sehr vieles leichter. Ihr habt im ganzen mehrere Tausende von Göttern, die ihr verehret, und da kommt es auf einen wahrlich nicht an, dessen Gedächtnis ihr wieder in euren Olymp und in euer Pantheon setzet. Aber bei uns Juden ist das ganz himmelhoch anders. Wir können uns unter unserem kommen sollenden Messias nur einen mächtigen Propheten, so einen potenzierten Moses oder Elias, vorstellen, der allenfalls nebst seiner geistigen Kraft eines Hohenpriesters auch die eines Königs, wie einst David war, besitzt; aber daß der verheißene Messias entweder der alte Jehova Selbst oder doch mindestens ein wahrer Sohn von Ihm sein soll, das ist trotz all der wahrhaft großen Zeichen, die er nun vor unseren Augen verrichtet, für uns mit dem alten Gesetze vernagelte Juden schwer anzunehmen.
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Er sagt freilich, daß der das ewige Leben haben wird, der an ihn glaubt; aber da sollte der alte Jehova Sich doch auch irgend vernehmen lassen und anzeigen, daß dieser Nazaräer wahrhaft Sein Sohn ist, und sollte aufheben das alte, uns überlästige Gesetz, und wir werden dann gerne statt an einen an zwei Götter glauben. Aber es geschieht so etwas, wenigstens vor unseren Augen und Ohren, nicht, und so bleibt uns vorderhand leider nichts anderes übrig, als beim alten Gesetze zu bleiben."
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Sagte der Römer: ,,Du hast nun zwar ganz taktmäßig gesprochen; aber wir Römer wissen es nur zu gut, wieviel ihr für euch aufs alte Gesetz haltet. Euch liegt an dem, was euch eure Gotteslehre und euer Tempel eintragen; euern Jehova samt Moses und den anderen Propheten verkauft ein jeder von euch um etliche Pfunde Goldes und Silbers! Wäre es nicht also, so würdet ihr die Samaritaner nicht hassen und verfolgen aus dem Grunde, weil sie eure neuen Satzungen nicht annehmen und fest bei Moses und den anderen Propheten stehengeblieben sind!
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Seht, wir sind zwar Römer, aber wir wissen in Rom um jedes Verhältnis in unseren asiatischen Ländern! Und so wissen wir auch ganz genau, daß ihr vor dem Volke wohl Priester seid dem Anscheine nach, der Wahrheit nach aber seid ihr Atheisten, ärger denn unsere Kyniker und Epikuräer. Ihr glaubet an gar keinen Gott und seid darum auch stets bereit, im geheimen die größten und greuelhaftesten Verbrechen gegen jedes bürgerliche und noch mehr gegen jedes göttliche Gesetz zu verüben. Würdet ihr euch nicht vor unseren weltlichen Gesetzen, die stets unerbittlich streng gehandhabt werden, scheuen, so wäre schon lange kein Leben vor euch mehr sicher.
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Daß ihr nun diesen wahren Gottmenschen nicht als das, was Er unzweifelhaft ist, annehmen wollet, daran schuldet weder euer Jehova noch euer Moses, sondern allein die Furcht, daß ihr dadurch euer Ansehen und eure guten Einnahmen einbüßen könntet. Ihr seid in eurer Gewissenlosigkeit nur sehr froh, daß ihr jedes Fünkchen Glauben an einen Gott losgeworden seid! Jetzt sollet ihr auf einmal ganz ernstlich wieder an einen Gott zu glauben anfangen, - was für euer taubes Gewissen sicher etwas sehr Unbequemes wäre! Das lasset ihr für euch fein bleiben! Nur eines ist für euch etwas, das euch nicht gleichgültig sein kann, und das besteht offenbar darin, daß nun soviel Volk an diesen wahrsten Gottmenschen glaubt, dadurch weise und helle wird und euch dann doch offenbar den Rücken kehren muß. Und da möchte ich wohl auch zu euch sagen: ? Nach meinem klaren Verstande habe ich euch nun nichts als ganz offen die vollste Wahrheit gesagt; ihr aber könnet nun dennoch tun, was ihr wollet!"
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Auf diese ganz energische Rede des Römers, die Ich ihm, leicht erkennbar, auf die Zunge gelegt hatte, war der eine der zwei stutzigsten Pharisäer ganz verdutzt und wußte vor Ärger nicht, was er dem Römer erwidern sollte.
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Da sagte aber ein anderer, der da gläubiger war und heimlich an Mich zu glauben begann, zu dem Römer: ,,Lieber Freund! Du hast uns denn doch ein wenig zu scharf gezeichnet! Ich will damit nicht sagen, als gäbe es unter uns nicht vielleicht solche, wie du sie beschrieben hast; aber ich und noch so manche gehören nicht so ganz zu ihnen. Wir glauben noch fest an den alten Jehova und an die Propheten! Wir aber haben die Neusatzungen nicht erfunden und nicht gemacht; aber wir müssen sie dennoch halten, weil sie einmal da sind. Wir sind aber der Meinung, daß sie nie hätten entstehen können, so sie Jehova nicht genehm gewesen wären; denn in den alten Zeiten durften die Priester ja nichts an dem alten Gesetze ändern. Und hat es jemand gewagt, da war die Strafrute samt dem Propheten, der sie ansagte, auch schon da. Aber jetzt ist davon schon lange keine Rede mehr. Es muß daher Gott mit den neuen Satzungen des Tempels doch ganz einverstanden sein, weil Er Sich zu unserer Kenntnisnahme gar nicht rührt und uns auch keinen annehmbaren Propheten sendet.
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Jetzt unser Galiläer wäre freilich wohl mit allen Kennzeichen eines Propheten geschmückt, und wir würden ihn als solchen auch annehmen, wenn er als das, was er ist, nur nicht in Galiläa aufgestanden wäre. Dasselbe war auch mit Johannes dem Täufer der Fall. Seine Rede klang ganz wie die eines rechten Propheten; aber er war denn auch sonst ein Stockgaliläer, und so konnten wir als Schriftgläubige denn doch nicht so ganz unbedingt annehmen, daß er ein wahrer Prophet sei. Es ist übrigens wohl wahr, daß da beide keine geborenen Galiläer, sondern geborene Judäer sind; aber in der Schrift ist nicht die Geburt, sondern nur der Aufstand eines echten Propheten angezeigt. Da es aber heißt, daß aus Galiläa kein Prophet aufsteht, so können wir auch nicht ganz so leicht, wie ihr es meinet, annehmen, daß dies ganz echte und wahre Propheten sein können. Und ihr könnet uns darum durchaus nicht gram werden, so wir sagen, daß wir da noch so manches zuvor zu prüfen haben werden, bis wir den Nazaräer nur als einen Propheten annehmen können. Dann wollen wir erst sehen, wie es da mit dem Messias aussieht. Hast du doch selbst gesagt, daß ihr Römer alles zuvor wohl prüfet und sodann erst das Gute behaltet! Fehlen wir denn, so wir da deinem weisen Rate folgen?"
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Sagte der Römer: ,,Oh, das durchaus nicht! Aber da gibt es nichts mehr, was irgend noch einer Prüfung unterworfen sein sollte, sondern da waltet die vollste und untrüglichste Wahrheit, die nur eine zu große Blindheit nicht merken kann, weil der Blinde auch die Sonne des Mittags nicht sieht.
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Wir Römer und Griechen gehören durchaus nicht zu den gar so leichtgläubigen Menschen und haben vielen Scharfsinn, um einen Menschen, der etwas Außerordentliches zum Vorscheine bringt, nach allen Seiten hin zu prüfen. Wir sind auch in der Sphäre der Magie durch und durch bewandert, und sowohl die ägyptischen als auch die indopersischen Geheimnisse sind uns durchaus nicht fremd; aber Werke, wie sie dieser Mann verrichtet, und dazu Seine Worte und Lehren hat noch nie ein Mensch verrichtet und nie ein Mensch geredet. Und das sind doch für jeden frei denkenden Menschen Beweise zur Genüge, die ihm sagen: ,Siehe, hier ist kein Mensch mehr, sondern ein Gott, dem wir die höchste Ehre zu geben schuldig sind!` Da kommt es nicht mehr darauf an, daß man das nur glaube, sondern daß man komme, sehe und den unverkennbaren Gott anbete und liebe!
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Aber die Wahrheit erkennt nur der, in dem die Wahrheit schon vorher zu Hause ist; in dem aber dieses Licht der Seele nicht ist, der kann auch gleich euch dieses Licht nimmer erkennen. Ihr wollet die Werke und die Lehren dieses Gottmenschen prüfen?! Und wir Römer fragen euch, womit ihr das tun wollet. Wer prüfen will, der muß sich zuvor selbst allerlei Kenntnisse und Fertigkeiten vom Grunde aus zu eigen gemacht haben. Wo aber sollet ihr euch das je zu eigen gemacht haben? In eurem verrosteten Tempel sicher nicht, - und sonst seid ihr auch nirgends weit gewesen, wo ihr etwas Gutes, Nützliches und Gründliches hättet erlernen können. Eure Altschrift verstehet ihr nicht, und eure Neuschrift ist keinen Stater wert. Was aber kennet ihr noch?! So ihr aber schon ganz sicher nichts Weiteres kennet, wie und womit wollet ihr dann diesen Gottmenschen prüfen? Saget es selbst, ob wir Römer euch nicht haarklein durchschauen!"