Das Grosse Evangelium Johannes: Band 1
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Auf dem Berg Morgenkopf bei Kis
- Kapitel 171 -
Die Pharisäer unter sich. Des Pharisäers Rhiba Vorschlag, Jesus bloß um des Friedens Willen zu töten
Die Pharisäer, die da besserer Art und nun auch gläubig geworden waren, aber natürlich so und so, einige mehr und einige weniger, bei dreißig an der Zahl, gingen in eine eigene Hütte und besprachen sich da nahe die ganze Nacht hindurch, was sie nunmehr tun sollten.
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Da war einer unter ihnen, der hieß Rhiba; der war ein - wie man sagt - Feiner. Dieser nahm, als alle zusammen lange nichts Entschiedenes herausbrachten, das Wort und sprach: ,,Meine Brüder, ihr habt jetzt sicher bei zwei Stunden Worte gewechselt und seid dadurch nicht um ein Haarbreit weiter gekommen in euren Beschlüssen. Ihr kennet mich und wisset es schon lange, daß eben ich in solchen kritischen Fällen den Nagel auf den Kopf getroffen habe, und ich meine nun, nachdem ich alles scharf prüfend angehört und angesehen habe, was da geredet und verrichtet wurde, daß ich auch hier nicht neben den Nagel einen leeren Hieb tun werde. Und so höret mich!
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Es ist durchaus wahr und nicht zu leugnen, daß dieser Mensch, der aus Nazareth eines Zimmermanns Sohn ist, Dinge und Werke verrichtet, die außer Gott nahe niemandem möglich sein dürften; kurz, wer da nur einigermaßen schwach ist und keinen Scharfblick hat, muß ohne weiteres breitgeschlagen werden und diesen Nazaräer für wenigstens einen Halbgott nach griechischer Weise halten. Es hat sogar bei mir durchaus nicht viel gefehlt, in solchen Glauben überzugehen; denn die Erscheinungen auf der Vollhöhe dieses Gebirges waren im vollsten Ernste von so außerordentlicher Art, daß sie zu Mosis und Elias' Zeiten nicht außerordentlicher sein konnten.
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Aber für meinen ganz geheimen Scharfblick sind denn doch Dinge mit untergelaufen, die mir die Decke von den Augen nahmen, und ich nun recht gut und genau weiß, wie ich daran bin. Habt ihr nicht bemerkt die Männer, die auf der Vollhöhe als Engel zu uns gekommen sind?" - Wird allseitig bejaht. - ,,Wißt ihr aber auch, wer und woher sie sind?" - Wird verneint. - ,,Ich will euch hier die Augen öffnen! Sehet und höret:
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Es wird euch nicht unbekannt sein, daß der Nazaräische Zimmermann namens Joseph, der allzeit im Rufe stand, daß er Kenntnisse in der ägyptischen und persischen Magie besitze, zugleich ein Nachkomme Davids in gerader Linie ist und sich dann und wann auch den Beinamen ,Davids Sohn` gab. Der Vater Josephs, der Eli hieß, auch ein Zimmermann von sonst gänzlich unbescholtenem Charakter, hatte im geheimen dennoch dahin sein Hauptaugenmerk gerichtet, seinen Stamm wieder auf den Thron von Judäa und dem ganzen Gelobten Lande zu bringen. Er ließ seinen Sohn Joseph unter dem Deckmantel, daß dieser sich in der Baukunst recht ausbilde, nach Persien und vielleicht gar nach Indien reisen unter guter Gesellschaft, aber nicht der Baukunst, sondern der außerordentlichen Magie wegen, damit Joseph dann im Besitze solcher Wissenschaft und Kunst alle Menschen blende und sich als ein von Gott gesandtes Wesen dann auf den Thron von Juden und Römern zugleich heben ließe. Denn da wäre es mit den sehr vergötterungssüchtigen Römern leichter zu handeln als mit den Juden. Nur müßte Joseph nebst seiner geheimen Kunst äußerlich ein strenger Jude sein und ohne Makel vor dem Gesetze, auf daß dann auch selbst die Hohenpriester nichts wider ihn haben könnten! Joseph kam nach mehreren Jahren von seinen Reisen zurück, besaß nun wohl die Kunst, aber keine Mittel und Gelegenheiten, sie ins Werk setzen zu können. Es fehlte ihm, wie mir alte Leute erzählt haben, auch der Mut dazu, hauptsächlich aber die Rednergabe; denn da war er sehr schwach und darum sehr einsilbig. Eli sah, daß er sich in seiner Rechnung geirrt hatte, und ließ dann seinen Sohn Joseph, der für den Thron gar kein Geschick zeigte, nur sein bekanntes Handwerk treiben. Als Eli starb, so hatte er den Sohn Joseph wohl gesegnet, sagte aber ganz weise, daß Joseph für seine Kinder zu dem bewußten Zwecke nichts mehr tun solle, denn es schaue da nichts mehr heraus. Und so hatte Joseph für die Kinder, die er mit dem ersten Weibe hatte, auch gar nichts getan.
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Als aber das erste Weib ihm gestorben ist und er durch ein glückliches Los, das er sich höchstwahrscheinlich durch seine in Persien erlernte Magie verschaffte, die schöne junge Maria aus dem Tempel zur Obhut überkam, die auch aus dem Stamme Davids war, so fing die Königsidee in Joseph wieder an wach zu werden; er schwängerte Mariam, damals ein kaum vierzehnjähriges Mädchen, das erst später sein Weib ward, was ihm freilich in Jerusalem große Unannehmlichkeiten bereitet hatte, aus denen er sich jedoch durch Geld und Magie rettete und zugleich Mariam nach dem Rate eines guten Freundes in Jerusalem zum Weibe nahm.
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Es sollen zwar die noch lebenden und sehr wohlhabenden Eltern der Maria in Jerusalem, ein gewisser Joachim und Anna, mit solcher Ehe nicht sehr einverstanden gewesen sein; aber der Joseph hatte einen mächtigen Freund im Tempel, den alten Simeon und besonders den Zacharias, und so ging die Sache dennoch ohne weiteren Anstand vor sich, und Maria ward Josephs rechtmäßiges Weib, womit auch ihre Eltern einverstanden sein mußten.
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Joseph, ganz besonders durch Maria, die er sehr liebte, aufgemuntert, wendete nun alles an, um mit dem Kinde, das noch nicht geboren war, so es ein Knabe werde, - was Joseph als ein in derlei Dingen wohlbewanderter Mann mit vieler Bestimmtheit im voraus wußte, - alles mögliche für den bestimmten Zweck aufzubieten, wozu ihm nun auch die nicht unbedeutenden Mittel seiner Schwiegereltern gute Dienste leisten mochten.
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Etliche Wochen vor der Entbindung sandte er geheim Boten nach Persien und ließ die drei Weisen zu sich bitten, mit denen er in seiner Jugend Bekanntschaft gemacht hatte. Diese kamen auch nach Nazareth; und da zu derselben Zeit Kaiser Augustus für ganz Judäa die Volksbeschreibung in Bethlehem angeordnet hatte, so waren zu der Zeit Joseph und Maria samt den Kindern Josephs eben auch nach Bethlehem hinaufgezogen, um sich dort beschreiben zu lassen.
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Die in Nazareth angekommenen drei Weisen samt ihrer großen und glänzenden Dienerschaft wußten nun nicht, wohin sie sich wenden sollten, zogen hinauf nach Jerusalem und erkundigten sich unglücklicherweise beim alten Herodes nach dem neugeborenen König von Israel und gossen da Öl ins Feuer! Natürlich konnte ihnen da Herodes keinen andern Bescheid geben, als erstens, daß ihm so was ganz fremd sei, und zweitens, daß, so da etwas an der Sache sei, diese Familie so wie viele tausend andere nun der vom Kaiser angeordneten Beschreibung wegen sicher in Bethlehem sich befinden dürfte. Auf solche Nachricht eilten die drei Weisen sogleich nach Bethlehem und fanden dort, was sie suchten.
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Daß es da an magischen Erscheinungen, durch die selbst die Römer breitgeschlagen wurden, nicht gemangelt hat, läßt sich leicht denken, ansonst der alte Herodes nicht den Kindermord befohlen hätte. Diese Magier haben dem Kinde für eine rechte Ausbildung auch große Schätze, wennschon nicht ganz geschenkt, so doch in Rücksicht dessen geborgt, bis das Kind König werde und dann das Entliehene nach Persien abstatte.
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Darum haben dann eben jene drei Magier das neugeborene Kind nicht mehr aus den Augen gelassen, sorgten für dessen vollendete magische Ausbildung bis zur Stunde und kamen jetzt auch wieder unter dem Scheine dreier Engel aus den Himmeln und helfen dem Jesus seine Wunderwerke ausführen und das Volk, das da blind ist und nichts weiß von alledem, was im geheimen geschieht, zu blenden durch allerlei weise Predigten und wunderbare Taten.
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Aber uns, die wir in alle derlei Mysterien eingeweiht sind, können die Augen nimmer geblendet werden, und es ist daher unsere heiligste Pflicht, diesen Menschen auf allen Wegen und Stegen zu beobachten und da, wo er zu weit will, ihm geschwinde einen Riegel vorzuschieben.
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Das Schlimmste wäre, wenn er die Römer auf seine Seite bekäme; da wäre es dann mit aller unserer Mühe rein aus! Daher müssen wir denn auch das sorgfältigst zu verhindern suchen, sonst wächst er uns im vollsten Ernste über die Köpfe himmelhoch hinaus! Ist er einmal oben, dann werden wir ihn nicht mehr herabzuziehen imstande sein! - Was sagt ihr dazu?"
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Die anderen sagen: ,,Du kannst ganz recht haben; aber so sich die Sache am Ende doch anders verhielte, was sicher auch sein kann, was dann mit uns?"
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Spricht Rhiba: ,,Das ist eine Frage, die man in dieser Sache gar nicht stellen kann! Ist er mehr, oder kann er mehr sein als ein Mensch? Wer ist denn unter uns gleich den Heiden, die da nicht wissen, was und wer Gott ist, und daher sowohl ausgezeichnete Menschen, wie auch sogar manche besonderen Tiere für Götter halten, verehren und anbeten?
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Ist dieser Nazaräer denn mehr als ein überaus ausgezeichneter Mensch, ein Genie, unübertrefflich in seiner Art und Weise?
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Würde er das verbleiben wollen, was er ist, und ausüben seine Kunst zum Wohle der Menschen und sie auch belehren in manchen Stücken, in denen die Menschen blind sind und wenig oder gar keine Einsicht haben, so hätte er einen unersetzlichen Wert, und das Land wäre zu beneiden, das ihn zu seinen Bewohnern zählte. Aber so juckt ihn Davids Thron, Krone und Zepter, und das macht ihn verächtlich bei allen echten und reinen Juden, die noch den alten Geist haben, alle Erscheinungen im Menschenleben beim rechten Lichte und Verstande zu nehmen und zu erfassen und nicht so leicht wie halbheidnische Zöllner und Sünder hinters Licht geführt werden können!
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Was nützt es denn auch der Menschheit, durch derlei blendende Lehren in verschiedene Sekten getrennt zu werden, die einander dann bloß des verschiedenen Glaubens wegen hassen - mehr denn der Wälder wilde reißende Tiere?! Die beim alten Glauben sind, hassen die Ungläubigen, und diese die Altgläubigen, und so bewirkt solch eine Religion allzeit gerade das Gegenteil von dem, was sie predigt; statt Freundschaft, Liebe und Frieden bewirkt sie die oft unversöhnlichste Feindschaft, Haß und den wütendsten Krieg! Und das sind die stets gleichen Früchte von allen Religionserneuerungen auf der Erde gewesen! Wenn aber die Früchte, wie es die Erfahrung aller Zeiten lehrt, nach solchen Begebnissen stets dieselben sind, so ist es ja für uns aufgeklärte Menschen und Leiter der Völker eine unerläßliche Hauptpflicht, solchen Erneuerern frühzeitig den Weg abzustechen, auf dem Tausenden Untergang und Verderben droht. Ist es denn nicht besser, daß da ein solcher herrschieriger Magier aus der Welt geschafft wird, als daß dann in kurzer Zeit viele Tausende, durch einen solchen Sonderling verleitet, über die scharfe Klinge zugrunde gehen müssen?!"