Bischof Martin
Die Entwicklung einer Seele im Jenseits
- Kapitel 166 -
Einswerdung des Menschen mit Gott. Beispiel vom Meer und den Wassertropfen. Schwerfälligkeit der Verstandesweisheit gegenüber der Herzensweisheit
Spricht Johannes: ,,Lieber Freund, du gehst wohl sehr kritisch zu Werk in dieser über alles wichtigen Sache und hast in manchem recht. Aber im Ganzen kannst du damit doch auf solche Abwege gelangen, auf denen du wohl in Ewigkeit schwerlich das wahre Ziel deines Seins erreichen möchtest! Daher will ich dich im Namen des Herrn, der nun gerade unsertwegen ein wenig innehält, etwas tiefer beleuchten. So höre, du lieber Freund:
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Du nahmst zu einem natürlichen Bilde deine Zuflucht, um mir die Richtigkeit deines Grundsatzes klarer vorzustellen. So kann ja auch ich ein ähnliches Bild nehmen, um wider dich selbst ein Zeugnis zu stellen, das dich erhellen soll mehr denn das maßlose Lichtmeer deiner mir vorgeführten Sonne! Ich werde zwar nicht so tief wie du in den Schöpfungsraum hineingreifen, glaube aber dennoch, daß ich unter dem Beistande des Herrn den Nagel auf den Kopf treffen werde.
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Siehe, das Meer ist beinahe auf einer jeden Welt - mag sie groß oder klein sein ihrem Volumen nach - jene Wassermasse, in die sich endlich alle einzelnen Ströme, Flüsse, Bäche und zahllose kleinere Bächlein ergießen, und in die auch die allermeisten Regentropfen fallen.
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Dieses Meer aber ist auf jeder Welt der erste Hauptgrund zu allen Gewässern sowie auch von jedem Regen und Tau. Hätte eine Welt kein Meer, so gliche sie einem Menschen, der kein Blut und somit auch keine andern Säfte hätte und dadurch auch ehestens zu einer Mumie oder leblosen Bildsäule werden müßte. Einer Welt ist sonach das Meer ebenso notwendig wie das Blut dem Menschen und jedem anderen lebenden Wesen.
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Nun geht aber alles, was auf einer Welt nur immer den Namen Flüssigkeit hat, aus dem einen Meere hervor, verrichtet die bestimmten Dienste und kehrt nachher wieder in das Meer zurück. In zahllos vielen kleinsten Kügelchen oder Tröpfchen spendet das Meer fortwährend seinen großen Überfluß in den ihm völlig verwandten Luftraum, der jede Welt umgibt. In diesem stets bewegten Luftraume werden diese kleinsten Wasserteilchen in allen möglichen Richtungen über die ganze Welt getragen. Sind sie in der Luft einmal in großer Fülle vorhanden, werden sie anfangs als Nebel und später bei noch größeren Ansammlungen als dichte Wolken ersichtlich. In diesen Wolken ergreifen sie sich, bilden dadurch größere und somit auch schwerere Tropfen, die dann bald hie und da in großer Anzahl als Regen auf die dürstende Welt niederfallen und diese neu beleben und erquicken.
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Du weißt nun, was das Meer ist und was alles aus ihm hervorgeht.
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Du sprichst: ,Ja, das beruht doch schon auf alten Erfahrungen!`
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Gut, so du das verstehst, da sage mir, was so ganz eigentlich älter ist: die einzelnen Tropfen des Meeres oder das gesamte Meer selbst? Freilich wohl ist das gesamte Meer früher dagewesen, bevor aus ihm ein Regentropfen aufsteigen konnte in die Luft. So er aber einmal aus dem Meere stieg, war er da als Teil desselben Meeres etwas anderes als das Meer selbst? Und so er wieder ins Meer zurückfallen wird, wirst du da wohl einen Unterschied finden zwischen ihm und dem Meere?
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Du sprichst: ,Nein, da ist alles identisch; denn wo der Teil des Ganzen gleich ist dem Ganzen, da sind Teil und das Ganze eins!`
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Gut, sage ich; wenn aber nun zwischen Schöpfer und Geschöpf dasselbe Verhältnis waltet, woher nimmst du dann deine scharfen Grenzen, die du zwischen Schöpfer und Geschöpf stellst?"
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Der Weise ist hier ganz frappiert und spricht erst nach einer Weile: ,,Überweisester Freund, ich sehe nun klar, daß du recht hast. Es läßt sich diesem deinem Beweise für die Identität des Schöpfers mit dem Geschöpfe nichts mehr entgegenstellen! Es ist so und es kann durchaus nicht anders sein. Denn woher sollte der Schöpfer zur Erschaffung der Geschöpfe den Stoff anders genommen haben als aus Sich?!
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Hat Er ihn aber aus Sich genommen, so muß wenigstens das Material oder der Stoff mit dem Schöpfer identisch sein. Wennschon die Zeit, in der das Material des Geschöpfes vom Schöpfer getrennt wurde, natürlich mit dem Schöpfer nicht identisch ist. Denn die Zeit ist nur ein zu beiden Seiten scharf begrenzter Ausschnitt der Ewigkeit, während der Schöpfer durchaus ewig ist und notwendig sein muß, weil ohne Ihn sich nie ein Werden denken ließe.
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Diese Sache ist demnach klar und kann unmöglich klarer werden durch immer noch tiefere Beweise. Aber um diese Sache recht bergfest zu stellen, dürfte die Aufstellung einer Gleichung nicht ohne Nutzen sein, besonders für diese Gemeinde, die alles genau berechnet haben will!
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Diese Proportion aber möchte ich so stellen: daß Sich nämlich der Schöpfer als Gesamtheit aller einzelnen der durch Sein Wollen getrennten Totalitäten zu letzteren gerade so verhält, wie sich umgekehrt alle einzelnen Totalitäten, die ewig aus Ihm hervorgehen, in ihrer Gesamtheit zum Schöpfer verhalten - welche Proportion aber notwendig dieses Produkt gibt, daß die volle Zusammenfassung aller produzierten speziellen Totalitäten der in ihnen gesetzten Totalität des Schöpfers gleich ist. Oder: das gesamte Eins des Schöpfers ist vollkommen im Eins der Geschöpfe enthalten, wie auch umgekehrt.
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Ist aber das gesamte Eins im Geschöpfe dem Eins des Schöpfers gleich, so ist auch ein getrenntes Eins dem Gesamt-Eins gleich, weil es ebensogut wie das Gesamte im Gesamten, und zwar im streng gleichen Verhältnisse enthalten ist. - Ich meine, diese Proportion dürfte hierzu gar nicht überflüssig sein?"
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Spricht Johannes: ,,Ja, ja, die Proportion ist wohl richtig. Aber ich muß dir dazu nur bemerken, daß wir Kinder des Herrn, der uns ein Vater ist und bleibt auf ewig, ganz anders zu rechnen pflegen, als du mir hier vorgerechnet hast!
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Siehe, das, was du berechnest mit deinem Kopfe, das alles berechnen wir stets mit unserm Herzen. Und wir bekommen allzeit ein bestes Resultat, das da alle erdenklichen Sonderfälle in sich begreift! Aber nun kommt der Hauptrechenmeister, Der wird dir ganz andere Rechnungen zeigen!"
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Spricht der Weise: ,,Also, das ist der Herr, oder das eigentliche Wesen Gottes?"
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Spricht Johannes: ,,Ja, Freund, das ist der Herr!"
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Spricht der Weise: ,,Wahrlich, Sein Äußeres verrät eben nicht viel Herrliches; wohl aber erweckt Sein Nahen einen starken Grad Liebe zu Ihm in mir!
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Das Aussehen ist gut, ja sehr gut! Aber daß dieser ganz natürlich aussehende Mensch, der wohl ungeheuer viel Weisheit haben kann, der Schöpfer der Unendlichkeit und aller Werke in ihr sein soll, das schaue sich aus Ihm heraus, wer es will! Mir ist das so gut wie völlig unmöglich.
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Er ist ja ebenso begrenzt wie wir beide! Wie möglich kann Er da das Unendliche zugleich durchdringen und umfassen?! Aber, wie gesagt, die Weisheit hat ewig unergründliche Tiefen; es kann alles möglich sein. Ich will eigentlich damit nur soviel gesagt haben, daß es mir nur absonderlich vorkommt! - Aber nun nur stille; Er winkt zu schweigen!"