Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 75 -
Sehnsucht nach Gott - ein Zeugnis für Sein Dasein
Nun sehet, soeben kommen auch die anderen suchenden Kinder herein. Aus ihren Gesichtern läßt sich klar entnehmen, daß sie weder auf die eine noch auf die andere Art Den gefunden haben, den zu suchen sie ausgegangen sind. Sie nähern sich darum zum zweiten Male, ganz schüchtern, ihrem Lehrer, und der Lehrer fragt sie: Nun, meine lieben Kinder, wie sieht es denn aus mit dem Suchen unter den Bäumen oder auf dem Söller oder auf den Galerien oder mit dem Suchen desjenigen Teiles aus euch, die sich vorgenommen haben, den Herrn im Wohnstübchen zu suchen? Wie ich sehe, so zucket ihr alle mit den Achseln; habt ihr denn den guten lieben Vater, den einigen Gott aller Himmel und aller Welten noch nicht gefunden und gesehen? - Wie ist nun euer Glaube bestellt? Habt ihr noch Zweifel über das Dasein Gottes?
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Die Kinder sprechen: Ach lieber, erhabener Lehrer, was die Zweifel betrifft, so haben wir jetzt deren mehr als ehedem; denn siehe, weder unser festes Wollen, noch unser allerlebendigster Glaube, noch alle unsere gegründetsten Gedanken auf Gott den Herrn, noch unser fester Liebewille haben etwas vermocht. Wenn es irgendeinen Gott und Herrn gäbe, so müßte Er Sich uns doch auf eine oder die andere Art geoffenbart haben; denn siehe, am Ende haben wir uns alle vereint und den festen Glauben gefaßt, daß es einen heiligen, guten, lieben Gott und Vater geben müsse. Wir haben Ihn mit all unserer Liebe erfaßt und bei Seinem von dir uns kundgegebenen Namen gerufen, indem wir sagten: Ach liebster, heiliger Vater Jesus, komme, komme doch zu uns, erhöre unser kindlich Flehen und zeige uns, daß Du einer bist und uns auch lieb hast, wie wir Dich lieb haben! - Und siehe, lieber erhabener Lehrer, also riefen wir eine geraume Zeit hindurch; aber keine Spur ließ sich von irgendeinem himmlischen Vater vernehmen. Es war alles umsonst; daher sind wir nun unserer Sache völlig gewiß, daß es außer euch erhabenen Lehrern keinen anderen höheren Lehrer oder Gott gibt.
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Wir wollen zwar dadurch noch nicht behaupten und sagen: Unsere Zweifel sind geradewegs auf festen Grund gestellt. Aber das können wir sicher annehmen, daß nach solcher unwirksamer Forschungsmühe über das Dasein Gottes sich eher Zweifel als ein fester Glaube daran erheben können.
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Aber wir sehen auch den einen, der sich von uns abgesondert hat, mit der alleinigen Liebe den Herrn suchend; hat auch dieser nichts gefunden?
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Der Lehrer spricht: Meine lieben Kinderchen, darüber kann ich euch vorderhand weder ja noch nein sagen. Die Kinder aber fragen den Lehrer weiter: Lieber erhabener Lehrer! Wer ist denn jener fremde einfache Mann dort, um den sich der eine aus uns herumtut und sieht ihn gar so verliebt an? Ist vielleicht dessen Vater von der Erde hier angekommen?
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Der Lehrer spricht: Meine lieben Kinderchen, das ist schon wieder etwas, was ich euch nicht sagen kann. So viel aber möget ihr vorderhand zur Kenntnis nehmen, daß jener schlichte Mann gar außerordentlich weise ist, daher müsset ihr euch wohl recht zusammennehmen, so er sich etwa mit euch über dies oder jenes besprechen möchte.
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Die Kinder sagen: Ach lieber erhabener Lehrer, können denn so ganz einfache Menschen auch weise sein? Denn siehe, wir haben bis jetzt erfahren, daß die Lehrer, bis auf dich, je weiser sie wurden, auch stets erhabener und glänzender ausgesehen haben. Jener Mann aber sieht gar nicht so erhaben und glänzend aus, sondern ist um gar vieles einfacher und schlichter als du. Da kommt es uns dann etwas sonderbar vor, daß er gar außerordentlich weise sein soll.
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Der Lehrer spricht: Ja, meine lieben Kinderchen, bei der inneren allertiefsten Weisheit kommt es durchaus nicht auf das äußere Glänzen an, sondern da heißt es: Je mehr Glanz von außen, desto weniger Licht von innen, je mehr Licht aber von innen, desto weniger Glanz dem außen nach. - Gehet aber nur hin und fraget ihn einmal um etwas, und ihr werdet euch gleich überzeugen, wie weise er ist.
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Nun gehen die Kinderchen hin zum Herrn und fragen Ihn noch unbekannterweise: Du lieber schlichter, einfacher Mann! Möchtest du uns denn nicht gestatten, daß wir dich um etwas fragen dürften?
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Der Herr spricht: O von ganzem Herzen gern, Meine geliebten Kinderchen! Fraget nur zu, und Ich werde Mich mit der Antwort schon zurechtfinden. Die Kinder fragen den Herrn: Da du uns dich zu fragen erlaubt hast, so fragen wir dich gerade um das, was uns allen am meisten am Herzen liegt. Siehe, wir suchen und beweisen schon eine geraume Zeit hin und her, für und dagegen, ob es einen Gott gibt, der da wäre ein überaus guter Vater im Himmel aller Menschen, die nur je irgendwo leben. Wir können aber diesem Vater nirgends auf die Spur kommen, und unser Lehrer selbst will oder kann uns in dieser Sache auch nichts Gegründetes sagen. Das aber hat er uns gesagt, daß du gar überaus weise sein sollst; daher möchten wir wohl von dir erfahren, ob es einen solchen Gott und Vater gibt oder nicht? Wenn du davon irgend etwas weißt, so sage es uns doch. Wir werden dich gar aufmerksam anhören, und es soll deinem Munde kein Wort entschlüpfen, das wir nicht mit der größten Aufmerksamkeit gar sehr beachten möchten.
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Der Herr spricht: Ja, Meine lieben Kinderchen, da habt ihr Mir freilich eine sehr schwere Frage gegeben, die Ich euch kaum werde beantworten können; denn sage Ich euch, es gibt einen solchen Gott und Vater, da werdet ihr sagen, das genügt uns nicht, solange wir Ihn nicht sehen. Und wenn ihr dann saget, laß uns den Vater sehen, was werde Ich dann zu euch sagen? Ich könnte euch mit dem Finger dahin oder dorthin zeigen, und ihr würdet nichts erblicken; denn wohin Ich auch immer zeigen möchte, würdet ihr dennoch nie euren Gott und Vater finden. Möchte Ich aber zu euch sagen: Kinder, der Vater ist hier unter euch! Werdet ihr es wohl glauben?
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Würdet ihr nicht fragen: Wo ist Er denn? Ist Er einer aus den Lehrern dieses großen Saales? Und wenn Ich dann zu euch sage: O nein, Meine geliebten Kinder! Was wendet ihr dann tun? Ihr werdet Mich ganz groß ansehen und sagen: Siehe, der Mann hat uns zum besten. Wenn es nicht einer aus den vielen Lehrern ist, wer ist es dann? Du wirst es doch nicht sein? Denn so einfach, schlicht und glanzlos wie du da bist, kann doch der allererhabenste Himmelsvater nicht aussehen!
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Und wenn ihr Mir dann eine solche Antwort gegeben habt, was wohl soll Ich euch darauf erwidern? Daher solltet ihr Mich gerade um etwas anderes fragen; denn mit der Beantwortung dieser eurer Frage scheint es sich nicht so recht tun zu wollen.
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Die Kinder sprechen: O lieber, weiser Mann! Siehe, das geht nicht also. An der Beantwortung einer anderen Frage ist uns nichts gelegen; aber daran, ob es einen oder keinen himmlischen Vater gibt, liegt unser ganzes Wohl. Denn gibt es einen Vater im Himmel, so sind wir alle überselig, gibt es aber keinen, so sind wir da, als wären wir alle ohne Grund und wissen nicht, wofür, wodurch und für was? Daher, wenn es dir möglich ist, mache dich nur an die Beantwortung der ersten Frage; darum bitten wir alle dich recht inständigst.
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Denn daß du ein sehr weiser Mann bist, das haben wir schon aus deiner ausweichenden Antwort entnommen. Daher führe uns dem einen Vater wenigstens nur um ein paar Schritte näher, denn es muß sicher einen geben. Das merken wir daraus, daß wir nach eben diesem himmlischen Vater eine stets größere Sehnsucht bekommen, je mehr Er sich hinter unseren kindlichen Zweifeln verbergen will.
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Wenn Er schon durchaus nicht wäre, woher käme denn da diese Sehnsucht in uns, die doch auch ebenso lebendig ist wie wir selbst? Mit der Sehnsucht also muß ja auch die Gewißheit über das Dasein eines himmlischen Vaters wachsen!
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Der Herr spricht: Nun, Meine lieben Kinderchen, ihr nehmet Mir ja gerade das Wort aus dem Munde! Fürwahr, in der Sehnsucht liegt ein gar großer Beweis; was aber ist wohl die Folge der Sehnsucht? Nicht wahr, meine lieben Kinderchen, die Folge wird das sein, daß man sich dessen vergewissern möchte, darnach man sich sehnt. Ihr saget, das sei eine gute Antwort. Ich aber frage euch nun: Was ist denn der Grund der Sehnsucht? - Ihr sagt es Mir, es ist die Liebe zu dem, nach dem man sich sehnt.
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Wenn man aber etwas im Grunde und in der Fülle der Wahrheit erschauen will, genügt es da wohl, nur bei der Sehnsucht und ihrer Folge zu verbleiben? Ihr saget Mir: O nein, lieber Mann von gar großer Weisheit! Da muß man auf den Grund selbst zurückgehen. Kündet sich da die große Wahrheit nicht an, dann ist alles falsch; kündet sie sich aber da an, so ist man zu der lebendigen Überzeugung gekommen, daß sie ewig nirgendwo anders als nur in ihrem Grunde selbst zu erkennen und zu erschauen ist.
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Sehet aber nun her, ihr Kinderchen! Dieser eine Bruder aus euch ging diesen Weg; und er hat den Vater gefunden! Fraget ihn, wo Er ist, und er wird mit dem Finger auf den Vater zeigen!
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Nun fallen die andern über den einen her und verlangen das von ihm. Und dieser eine spricht: O meine lieben Brüder! Da sehet her, den ihr für schlicht und einfach haltet, Der ist es Selbst, den ihr so lange vergeblich gesucht habt, der ist der gute, liebe himmlische Vater - heilig, überheilig ist Sein Name! Glaubet es mir, denn ich habe Seine Herrlichkeit schon gesehen. Glaubet aber nicht darum, weil ich es euch sage, sondern nähert euch alle Ihm mit euren Herzen, und ihr werdet Ihn also wahr und herrlich finden, wie ich Ihn gefunden habe!
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Sehet, diese Kinder tun nun alle einen Ruf, da sie den Vater erkennen: O Vater, Vater, Vater!!! Du bist es, ja, Du bist es! Denn wir ahnten es mächtig in Deiner Nähe! Da wir Dich aber gefunden haben, so wolle Dich ja nimmer vor uns verbergen, auf daß wir Dich nicht wieder so schwer suchen müssen!
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Und der Herr spricht: Amen! Kindlein, von nun an sollen eure Gesichter nimmer von Mir abgewendet werden! Werde Ich Mich auch nicht stets also, wie jetzt, unter euch aufhalten, so werde Ich aber doch in jener Sonne dort, die euch leuchtet, zugegen sein! - Das Weitere wird euch euer Lehrer von Mir kundtun. -