Die Geistige Sonne
Band 1
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 96 -
Es müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden. Des Priors seligstes Erkennen
Nun sehet, unser Prior und sein fremder schlichter Mann erreichen soeben jene ziemlich dichte Laube, welche aus Feigenbäumchen besteht, und treten hinter dieselbe.
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Jetzt aber gebet acht; unser früherer Mönch nähert sich mir schon wieder ganz bescheiden und fragt nun auch sogleich: Lieber Freund und Bruder, wir alle erkennen dich nun ungezweifelt als erhabenen Boten des Herrn, erkennen aber dabei nicht, wer jener fremde, schlichte Mann ist. Sage uns daher, wer dieser Mann ist, denn ich habe ihn so recht betrachtet, und ich muß dir offen gestehen, daß mir im Verlaufe meiner Betrachtung von Augenblick zu Augenblick heißer geworden ist um mein Herz, und gar viele von meinen Brüdern gaben mir von ihnen aus das gleiche zu verstehen. Daher meine ich, daß hinter diesem Manne durchaus nichts Geringes stecken kann; er ist entweder der Petrus oder Paulus oder etwa gar der Lieblingsjünger des Herrn! - Wenn ich nicht zu weit vom Ziele geworfen habe, so wolle mir solches brüderlich gütig zu verstehen geben. Ich weiß zwar noch nicht, was im fernen Verlaufe mit uns allen geschehen wird; kommen wir in die Hölle oder doch zumindest ins Fegfeuer? Aber das ist gewiß, diesen fremden, schlichten Mann werde ich lieben, wo immer ich mich befinden werde in alle Ewigkeit, und das aus dem Grunde, weil er gar so schlicht, einfach und liebevoll ist. Ich habe dies deutlich daraus entnommen, als ich betrachtete, wie gar so herablassend und liebevollst brüderlich er mit dem Prior umgegangen ist und seiner Schwachheit so weit nachgab und nachging, daß er ihn am Ende sogar vor der allfälligen schrecklichen Ankunft des Herrn in den Schutz nahm.
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Ja, das will ich einen wahren Menschenfreund nennen. Einem auf der Welt beizustehen, ist offen eine leichte Sache, weil da ein jeder Mensch in seiner vollkommenen Freiheit ist. Aber hier, im schauderhaften, unerbittlichen, aller Liebe, Gnade und Erbarmung nahe gänzlich ledigen Geisterreiche, ist das ganz etwas anderes, einen so edlen Freund zu finden, hinter dem man sich bei solch einer herannahenden entsetzlichen Gefahr schützend verbergen kann. Daher bitte ich dich im Namen aller dieser Brüder noch einmal, daß du mir kundgeben möchtest, wer dieser Mann sei? Vielleicht würde er auch so gnädig und barmherzig gegen uns sein, uns dann zu beschützen und zu decken, wenn der Herr allererschrecklichst mit zornigem Richterantlitze erscheinen wird!
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O Freund und Bruder, du kannst es sicherlich nicht erfassen und begreifen, was das für einen armen Sünder ist, vor dem unerbittlichen Richterstuhle Christi zu erscheinen! Ich möchte ja lieber auf ewig mich in der größtmöglichen Tiefe dieses Bodens begraben lassen, als nur einen Augenblick lang das Angesicht des ewig unerbittlichen, allgerecht gestrengsten Richters anzusehen. Daher tue uns diesen letzten Liebesdienst, wenn wir überhaupt eines solchen nur im geringsten Teile würdig sind, und wir wollen uns dann ja für ewig mit dem ausgesprochenen göttlichen Urteile zufriedenstellen; aber nur vor dem Angesichte des unerbittlichen Richters laß uns verwahrt werden!
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Nun spreche ich: Lieber Freund und Bruder, du verlangst seltene Dinge von mir und bedenkst nicht, daß ich nicht der Herr, sondern nur ein Diener des Herrn bin, als solcher nicht tun kann, was ich will, sondern nur was da ist des Herrn Wille! Es ist aber dieser fremde schlichte Mann weder der Petrus, noch der Paulus, noch der Lieblingsjünger des Herrn, sondern Er ist Einer, der nicht ferne ist denen, die du nanntest, und eben auch nicht ferne ist mir wie dir. - Soviel genüge dir vorderhand.
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Daß du dich aber, samt deinen Brüdern, hinter Ihm vor dem Angesichte des Herrn verbergen möchtest, das ist eine eitle Sache. Meinst du, des Herrn Antlitz wird dich nicht treffen, wo du auch seist? Oh, da bist du noch in einer großen Irre! Wenn du aber der Meinung bist, dich hinter dem Rücken jenes schlichten Mannes verbergen zu können, also, daß du das Angesicht des Herrn nicht zu Gesichte bekämest, da ziehe mit all deinen Brüdern dem Prior nach, und es wird sich an Ort und Stelle zeigen, ob du vor dem Angesichte des Herrn sicher bist.
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Meinst du denn, der Herr wird auf diesen Platz hierherkommen, der da leer ist? Das wird Er nicht tun, sondern Er wird Sich geradewegs dahin begeben, wo ihr seid, oder euch gar schon erwarten hinter dem Laubwerke.
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Nun spricht unser Mönch: O erhabener Freund und Bruder, du hast mir jetzt entsetzliche Dinge ins Ohr gesetzt. Wenn es also ist, da möchte ich doch wieder nicht zur Laube hin, sondern mich lieber einsam oder höchstens mit noch einem Bruder in irgendeinen allerschmutzigsten Winkel verbergen, dahin wegen der Schmutzigkeit der Herr etwa nicht allzubald Sein Angesicht wenden würde.
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Nun spreche wieder ich: Lieber Freund und Bruder, auch das wird dir wenig nützen, denn der Herr wird dich finden und wärest du auch in der Tiefe aller Tiefen begraben. Daher meine ich, du solltest lieber hier bei deinen Brüdern verweilen und dich in den Willen des Herrn fügen. Und der Herr wird dich in deinem Gehorsame sicher gnädiger ansehen, als so du eigenmächtigerweise dich töricht vor dem Herrn verbirgst, vor dem sich doch ewig niemand verbergen kann.
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Unser Mönch spricht: Wenn es also ist, so geschehe denn in dem allmächtigen Namen des Herrn Sein heiliger Wille; denn wir sind nach deiner Rede nun auf alles gefaßt! - Spreche ich: Nun gut, da solches bei euch der Fall ist, so lasset uns hinziehen, wohin der Prior mit dem fremden schlichten Manne gezogen ist; dort wollen wir, als auf dem tauglichsten Platze dieses Gartens, des Herrn harren!
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Seht, die Mönche wie die Laienbrüder begeben sich, uns folgend, demütigst, aber auch in aller Furcht ihres Herzens hin zu dem uns bekannten Laubwerk. - Wir sind nun an Ort und Stelle. Lassen wir diese Gesellschaft vor dem Laubwerk allein ein wenig harren; wir aber begeben uns etwas hinter das Laubwerk und wollen da das Verhältnis unsers Priors ins Auge fassen.
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Sehet, er fragt schon mit verlegener Stimme seinen schützenden Freund: Was um des Herrn willen hat denn das zu bedeuten, daß nun, für mich entsetzlichermaßen, alle meine sonst lieben Brüder zu unserem Bergwinkel hergewandelt sind? Am Ende wird es doch noch so werden, wie du, lieber Freund, ehedem bemerkt hast, nämlich daß der Herr gerade da, wo ich mich verbergen werde, gar zuallererst erscheinen wird. Lieber Freund und Bruder, wäre es denn nicht tunlich, daß wir diesen Platz mit einem andern vertauschten?
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Der schlichte Mann spricht: Was würde dir das auch nützen? Weißt du nicht, was der Apostel Paulus damit angezeigt hat, da er sprach: ,,Wir müssen alle vor dem Richterstuhle Christi offenbar werden!"? - Der Prior spricht: O lieber Freund und Bruder, diese schauerlichen Worte kenne ich nur gar zu gut! Was ist aber da zu tun, da ich dessen ungeachtet meine entsetzliche Furcht vor dem Herrn nicht loswerden kann?
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Nun spricht der schlichte Mann: Höre, mein lieber Freund und Bruder, da weiß Ich dir einen guten Rat zu geben. Du hast ehedem bemerkt, daß du den Herrn über alles lieben könntest und wärest schon für ewig zufrieden, so du Ihn nur einmal im fernen Vorbeigehen zu Gesichte bekämest. Du weißt aber auch, daß der Herr ein gar großer Freund derjenigen ist, die Ihn lieben, und kommt ihnen unbekanntermaßen wohl allzeit schon mehr als auf dem halben Wege entgegen. Wie wär' es demnach, wenn du anstatt deiner großen Furcht deine Liebe zum Herrn so recht ergreifen möchtest und der Herr dir dann auch entgegenkäme? Ich meine, solches wäre füglich besser, als sich gar so töricht zu fürchten vor dem, den man doch nur über alles lieben soll!
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Der Prior spricht: Ja, lieber Freund und Bruder, wie allzeit und ehedem so hast du auch jetzt vollkommen recht. Oh, wenn ich den Herrn nur lieben darf, so ich Ihm mit meiner Liebe nicht zu schlecht bin, da will ich Ihn ja lieben über alle Maßen, aus allen meinen Kräften, denn ich fühle es lebendigst in mir, daß ich nun nichts als nur allein den Herrn unbeschreiblich und unaussprechlich zu lieben vermag!
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Nun spricht der schlichte Mann: Siehe, Mein lieber Freund und Bruder, diese Sprache gefällt mir ums Unvergleichliche besser als die frühere, daher will Ich dir nun auch ein kleines Geheimnis enthüllen. - Siehe, Der, den du gar so sehr gefürchtet hast und noch immer fürchtest, ist nicht ferne von dir. Sage Mir, würdest du den Herrn auch so sehr fürchten, wenn Er Mir ganz gleich schlicht, einfach und voll Liebe vor dir erscheinen möchte?
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Der Prior erwidert: O allerliebster Freund und Bruder, in dieser Gestalt würde ich mich sicher nicht fürchten vor Ihm. Aber was die Liebe betrifft, so glaube ich, daß mich diese beinahe töten könnte, wenn ich den Herrn in deiner Schlichtheit vor mir erschauen würde!
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Der schlichte Mann spricht: Siehe, deine Furcht rührt aus einer grundirrigen irdischen Vorstellung vom Herrn, während der Herr deiner Vorstellung nicht im allergeringsten entspricht. Deine Vorstellung war aber auch zugleich der Grund, daß du den Herrn nie so ganz liebend erfassen konntest. Da aber aller Irre einmal ein Ende werden muß, so siehe her! - Zuerst betrachte Meine Füße, an denen noch die Nägelmale sind, dann betrachte Meine Hände und lege gleich dem Thomas deine Hand in Meine durchbohrte Seite und du wirst daraus gar bald ersehen, daß man sich auch hinter dem dichtesten Laubwerk vor dem Herrn nicht wohl verbergen mag!
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Sehet, nun erkennt der Prior in seinem schlichten Manne den Herrn und fällt, von der mächtigsten Liebe ergriffen, zu Seinen Füßen hin und kann nichts reden, sondern er weint und schluchzt. - Aber der Herr beugt Sich nieder, erhebt ihn und spricht zu ihm: Nun sage Mir, noch immer Mein Freund und Bruder, bin Ich wohl so schauerlich und fürchterlich, wie du Mich ehedem dir vorgestellt hast?
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Der Prior spricht: O Du mein allermächtigst geliebter Herr Jesus! Wer von uns hätte es sich je auch nur zu denken getraut, daß Du auch im Reiche der Geister gar so unendlich, unaussprechlich gut bist?! - O Herr, laß mich jetzt hinausgehen und rufen aus allen Kräften, so daß es alle Enden Deiner unendlichen Schöpfung vernehmen sollen, daß Du der allerunendlichst beste, liebevollste und heiligste Vater bist!
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O Herr, wie unendlich selig bin ich jetzt, da ich Dich also habe kennengelernt! Ja, Du bist der Himmel aller Himmel und die höchste Seligkeit aller Seligkeiten! Wenn ich nur Dich habe und Dich ewig mehr und mehr lieben darf, so frage ich weder nach einem Himmel noch nach irgendeiner andern Seligkeit mehr! Laß mich hier eine Hütte erbauen, die groß genug ist, mich, meine Brüder und Dich, o Herr, zu fassen, und ich gehe da mit keiner Seligkeit mehr einen Tausch ein! Aber Du, o allerliebevollster, heiliger Jesus, darfst uns ja nicht mehr verlassen, denn ohne Dich wäre ich nun ewig das unglücklichste Wesen!
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Der Herr spricht: Mein Freund und Bruder, Ich kenne dein Herz, laß daher gut sein, was du wünschest, und gehe dafür hinaus zu deinen Brüdern und verkündige Mich, wie Ich Mich dir verkündigt habe. Ich aber werde dir sobald folgen, um dir gleich auch alle deine Brüder zu erlösen und werde euch dann führen zu eurer wahren, ewigen Bestimmung! - Und so denn gehe und tue nach Meiner Liebe. Amen!