Gottes Neue Offenbarungen

Die Geistige Sonne
Band 1

Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits

- Kapitel 50 -

Unhaltbarkeit dieser materiellen Himmels-Idee

Nun seht, wir sind schon beisammen; sehet ferner, die entlaufene Gesellschaft ist an die Grenze des großen Gartens gekommen. Dieser ist da mit einer durchsichtigen Mauer umfangen, welche, wie ihr euch in eurem Gemüte überzeugen könnt, zwar der Erscheinlichkeit nach als eine sehr schöne Zierde für diesen Garten dasteht; aber sie hat eben durch ihre Durchsichtigkeit das Fatale an sich, daß man durch sie jenseits des Gartens in einen ganz entsetzlichen Abgrund hinabsieht. Unsere Gäste würden mit dem Reißaus gleichwohl noch einen weiteren Versuch machen, und mit der Überklimmung nicht zu schwer fertig werden; aber dieser fatale, uns nun schon bekannte Umstand hindert sie an solch einem Unternehmen. Wir erblicken unsere ganze Gesellschaft daher auch ganz verblüfft an der Mauer stehen, und keiner aus den Gästen weiß nun, was er ferner tun soll. Wie ihr aber zugleich sehet, so nähern sich ihnen auch schon mehrere Tafeldiener, und ein Anführer der Tafeldiener nähert sich der etwas schüchternen Gesellschaft und redet sie folgendermaßen an: Liebe Freunde und Brüder: Was habt ihr denn getan? Die Gesellschaft erwidert: Vergebet uns, liebe Freunde, wir taten nichts anderes, als was wir für ein notwendiges Lebensbedürfnis in uns fühlten. Wir können dich aus diesem unserem innersten Lebensbedürfnisse heraus versichern, daß es mit diesem Himmel - zufolge der uns nur zu wohlbekannten Bewandtnisse - unmöglich seine völlige Richtigkeit haben kann; und darum haben wir auch diesen uns bewegenden Versuch gemacht.
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Der erste Tafeldiener spricht: Das sehe ich wohl ein, daß euch das lange Sitzen und das beständige Essen, wie auch die immerwährend einförmige Anschauung eurer göttlichen Dreifaltigkeit hat müssen zu langweilen anfangen. Aber wenn ihr euch wieder an euer Leben zurückerinnert, so habt ihr ja doch wahrlich bis zu eurer letzten Stunde um nichts anderes gebeten, als um ,,die ewige Ruhe", und um ein ,,ewig leuchtendes Licht", und daß ihr auch am ,,Tische Abrahams, Isaaks und Jakobs im Himmelreiche" möget ,,gesättiget" werden und allda ,,Gott von Angesicht zu Angesicht anschauen, welcher da wohnt im ewig unzugänglichen Lichte". Wenn euch nun solches alles buchstäblich und getreu geworden ist, wie mag es euch denn unrecht sein?
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Der redeführende Gast spricht darauf: Lieber Freund! Ich will im Namen der ganzen Gesellschaft zu dir reden, und so wolle uns denn gütigst vernehmen! Wir glaubten auf der Erde alles fest und ungezweifelt, was uns unsere Kirche zu glauben vorstellte, und dachten uns dabei: Wenn wir redlichen Sinnes streng nach der Lehre dieser Kirche wandeln, tätig im Glauben nach der den Glauben lebendig machenden Liebe, da kann es mit uns auf keine Weise gefehlt sein; denn es ward uns ja immer gepredigt, daß ,,diese Kirche nicht irren und fehlen kann, da sie im beständigen Vollbesitze des hl. Geistes wäre!" Nun siehe, wir haben zwar richtig alles das erreicht, wie uns die Kirche gelehrt hat, und wie wir es auch immer fest geglaubt haben.
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Aber leider ging uns erst bei der Erreichung alles des Geglaubten ein anderes Licht auf, und zufolge dieses Lichtes sind wir nun auf die Vermutung gekommen, es müsse irgendwo einen anders gearteten Himmel geben. Denn dieser Himmel, in dem wir uns jetzt befinden, ist ja im buchstäblichen Sinne des Wortes und der Bedeutung nichts anderes als eine allerbarste Gefangenschaft. Was nützt die ewige wohlbesetzte Tafel, was die ewige Anschauung der drei göttlichen Personen, wenn alles dieses ewighin keinem angenehmen Wechsel unterworfen ist? Und dann erlaube, guter Freund, das ewige Sitzen! Dieser Gedanke müßte mit der Zeit ja doch einen jeden noch so befangenen Geist zur Verzweiflung treiben!
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Wir müssen freilich eingestehen, daß einem das Sitzen keinen Schmerz bereitet, wie solches auf der Erde der Fall war. Auch ist es eben nicht unangenehm, sich fortwährend in einer überaus schönen und frommen Gesellschaft zu befinden; auch das Auge wird allzeit beim Anblicke der göttlichen Dreieinigkeit alleranmutigst angeregt. Die Speisen und Getränke sind so wohlschmeckend, daß sie dem Gaumen und dem Magen nicht zuwider werden; dann und wann hört man von der großen Tafelgesellschaft auch gar lieblich angenehme Gesänge, welche das Ohr alleranmutigst berühren.
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Siehe, solches alles wäre in der Ordnung. Aber zu allem diesem denke dir, lieber Freund, die entsetzliche Ewigkeit hinzu, so muß es dich, wenn du übrigens ein menschlich lebendiges Gefühl in dir trägst, selbst bis in den innersten Grund schaudern. Denn solches ist ja doch, wie man auf der Welt zu sagen pflegte, logisch richtig, daß das Leben eine freie bewegende Kraft ist. Siehe, diese Kraft empfinden wir in uns und sollen aber dennoch trotz dieser lebendigen Empfindung ewig an der Tafel sitzen! Wäre das nicht ein kaum auszusprechender Widerspruch mit dem Begriffe des Lebens?
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Dazu muß ich dir auch noch aus meiner Erfahrung, die ich auf der Welt gemacht hatte, eine Bemerkung hinzufügen, und ich glaube, du wirst das Unnatürliche dieses Himmels hinsichtlich des menschlichen Gefühles gar leichtlich ersehen. Als ich auf der Welt als ein junger, lebenskräftiger Mann von etwa dreißig Jahren ledig einherging, da kam mir einst wie durch einen Zufall ein Mädchen unter. Dieses kam mir so himmlisch schön vor, daß ich mir in meinem Herzen sagte: Mein Gott und mein Herr! Wenn du mir dieses Mädchen zum Weibe werden ließest, so wäre ich damit mehr beglückt, als wenn du mir alsogleich den Himmel zum freien Eingange eröffnen möchtest! Ich habe es mir auch in meinem Herzen selbst gleich geschworen und sagte, dieser himmlische Engel muß mir zum Weibe werden! Nach solch einem Schwure bot ich auch alles Mögliche auf, um mich in ihren Besitz zu setzen. Es kostete mich gar viele Mühe und Anstrengung. Aber je mehr ich um diesen irdischen Engel kämpfen mußte, desto seliger dachte ich mir dabei in meinem Gefühle dessen Besitz, ja, meine Gefühlsphantasie ging so weit, daß ich mir im Ernste vorstellte, wenn dieser weibliche Engel ewig vor mir stände und ich ihn nur stets vom Fuß bis zum Kopf betrachten könnte, so könnte ich mich unmöglich ewig daran satt sehen!
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Und siehe, nach vielen bitteren, bei zwei Jahre lang andauernden Kämpfen ward dieser weibliche Engel mir wirklich zum Weibe. Fürwahr, in der ersten Zeit glaubte ich es selbst kaum, daß ich im Ernste der Glückliche sei, der nun mit vollstem Rechte zu diesem Engel sagen könne: Mein geliebtes Weib! Ich war zu glücklich. Aber siehe, nach ungefähr zwei Jahren war mir dieser Engel so etwas Gewöhnliches, daß es mir nicht selten eine bedeutende Selbstverleugnung kostete, wenigstens anstands- und ehrenhalber bei ihm zu Hause zu bleiben. Ich war anfangs in meinem Herzen auch so eifersüchtig, daß ich mit einem wirklichen Engel des Himmels aufbegehrt hätte, wenn sich dieser wagte, meinem überhimmlischen Ideale sich zu nähern. Aber nach zwei Jahren, muß ich dir zu meiner eigenen Schande aufrichtig gestehen, war ich nicht selten recht froh, wenn dann und wann mein Ideal des Himmels einige Besuche erhielt, damit ich dabei die Zeit gewann, ein wenig in die freie göttliche Natur hinauszuwandeln.
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Und siehe, damals schon dachte ich mir: Mein Gott und mein Herr! Wenn es dereinst mit dem Himmel auch eine solche Bewandtnis haben sollte, so wird er eben nicht dem Bedürfnisse des Menschen entsprechen. Dennoch aber dachte ich mir dabei: Wenn der Himmel auch ein ewiges Einerlei sein sollte, so wird aber doch Gott die Gefühle des unsterblichen Geistes so modulieren, daß ihm dann das ewige Einerlei dennoch eine ewige unaussprechliche Wonne bereiten wird. Und jetzt habe ich auch den wirklichen Himmel verkostet, und ich sage dir, es geht mir um kein Haar besser; im Gegenteile, noch ums sehr Bedeutende schlechter, als es mir mit meinem irdischen Himmel ergangen ist. Wenn mir der Herr das fatale Gefühl der Langeweile, besonders bei dieser ewigen Aussicht des Einerlei, nicht aus meinem Leibe schafft, so wäre es mir wirklich viel lieber, wenn Er mich wieder auf der Erde zu einem ewigen Holzhacker möchte werden lassen. Denn, lieber Freund, noch einmal gesagt, das Gefühl bezüglich der ewigen Dauer alles dessen, was man hier genießt, und nicht die allerleiseste Abwechslung dabei, ist etwas Entsetzliches!
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Nun urteile du nach dieser meiner Notrede und tue mit uns, was du willst. Zu der Tafel aber lasse ich mich nicht mehr bringen, da kannst du schon machen, was du willst. Eher noch will ich ewig in diesem Garten herumschwärmen, und wenn es mich hungert, mir dann von den Bäumen selbst eine Sättigung herunterlocken; aber, wie gesagt, nur zu der Tafel nicht mehr!
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Ich muß dir auch sagen, daß mir die Rückerinnerungen an das tätige Leben auf der Erde fürwahr hier noch ein größeres Vergnügen schaffen, als die ganze himmlische Tafel, mit Ausnahme, versteht sich von selbst, der Anschauung der göttlichen Dreieinigkeit, worüber sich zwar freilich auch etwas sagen ließe. Aber der Gegenstand ist zu heilig, und wir sind nicht würdig, uns über denselben näher auszusprechen. Daher beurteile nur dieses und handle darnach!

Fußnoten