Das Grosse Evangelium Johannes: Band 10
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Der Herr in der Stadt am Nebo
- Kapitel 223 -
Judas Ischariot
30.5.1864
Früh am Morgen befand sich alles schon auf den Füßen, und Ich ebenfalls mit Meinen Jüngern, und der Wirt hatte sein Weib und seine Küchendienerschaft auch schon frühzeitig in Bewegung gesetzt, um für uns ein Morgenmahl zu bereiten.
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Ich begab Mich aber sogleich mit Johannes, Petrus und Jakobus ins Freie, und zwar wieder auf den schon bekannten Berg Nebo. Die andern Jünger hatten noch mit ihren Anzügen und mit dem Waschen zu tun; auch waren ihre Haare in Unordnung, und sie mußten sie zurechtbringen.
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Der Wirt selbst und sein Sohn aber kamen Mir bald nach, - so auch der Oberstadtrichter, diesmal mit seinem Weibe und Kindern, die eben noch nicht sehr groß und sehr alt waren. Auch die drei Apollopriester ließen nicht lange auf sich warten. Kurze Zeit darauf kamen auch die andern Jünger, mit Ausnahme des Judas Ischariot; denn dieser hatte sich lieber in der Stadt herumgetrieben und den Bürgern die Wohltat Meiner Wunderwerke so recht angepriesen, die ihn dann mit mehr oder weniger Geld beschenkten, das er in seinen Beutel schob, worauf er dann in die Herberge ging und sich sogleich noch eine volle Stunde vor dem Morgenmahle Brot und Wein vorsetzen ließ.
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Der Wirt fragte Mich zwar auf dem Berge, was es mit dem einen Jünger für eine Bewandtnis habe, daß er diesmal nicht anwesend sei.
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Und Ich sagte zum Wirte: ,,Laß ihn abwesend sein; denn Mir ist sein Abwesendsein lieber als sein Anwesendsein, und mehr brauche Ich dir nicht zu sagen!"
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Nun fragte Mich der Oberstadtrichter, sagend: ,,O Herr und Meister, wie ist jener Mensch in die Zahl Deiner Jünger aufgenommen worden? Denn siehe, ich frage Dich nicht umsonst; dieser Mensch ist mir bei meinem richterlichen Scharfblick sogleich aufgefallen, weil er niemandem gerade ins Gesicht schauen konnte und auch bei Deinen überaus göttlichen Reden und Vorträgen ganz teilnahmslos finster vor sich hinblickte und mit keiner Miene irgendein Erstaunen oder irgendeinen Beifall zu erkennen gab! Auch gab er kein Wort von sich, damit man doch wenigstens hätte wissen können, welches Redeorgan er besitzt, während doch alle Deine andern Jünger hin und wieder redeten, teils mit Dir Selbst, zum Teil auch untereinander. Kurz, ich muß Dir sagen, daß mir dieser Dein Jünger durchaus nicht gefällt. Wenn ich einen solchen unter meinen vielen Dienern hätte, so hätte ich ihm schon lange den Laufzettel gegeben. Von welcher Stadt ist er denn gebürtig?"
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Sagte Ich: ,,Er ist ein Galiläer und seiner Profession nach ein Töpfer. Er ist unter allen Meinen Jüngern der schriftkundigste und als irgend ein Lehrer voll Redeschwunges; aber er ist dabei auch voll Geldgeizes, und das ist der eigentliche Teufel in ihm, dessen er nicht loswerden wird, - denn jede Gattung von Teufeln und bösen Geistern, so sie eines Menschen Herz einmal gefangengenommen haben, sind leichter aus dem Menschen zu schaffen als der Geizteufel.
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Denn in einem jeden andern argen Geiste sind noch Fünklein von einer Nächstenliebe anzutreffen, aber bei einem Geizteufel nicht; darum ist er auch der hartnäckigste und durchdringt den ganzen Menschen so, bis dieser ihm ganz ähnlich wird, und er kann ihn dann zu den allerschändlichsten Taten am besten gebrauchen. Darum hüte sich ein jeder vor allem vor dem Geiz; denn ein jeder Sünder wird leichter und eher in das Reich Gottes eingehen denn ein Geizhals!"
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Sagte der Oberstadtrichter: ,,Wenn Dein Jünger von dieser Art ist und Du doch allmächtig bist, schaffe ihn von Dir! Denn was hat ein solcher Mensch in Deiner Gesellschaft zu tun?"
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Sagte Ich: ,,Eben darum, weil Ich der Herr und allmächtig bin, muß Ich - besonders auf dieser Erde, welche eine Pflanzschule für Meine Kinder ist - auch die Teufel ebensogut dulden wie die Engel; denn niemand kann ohne den vollkommensten freien Willen Mein Kind werden, und dem Teufel selbst ist der Weg zur Umkehr nicht völlig abgesperrt. Und somit wirst du auch einsehen, daß Ich einen Jünger, an dem Ich sonst gar kein Wohlgefallen habe, so lange in Meiner Nähe dulde, als er selbst in derselben verbleiben will; will er sich aber heute von Mir entfernen, so wird ihm von niemandem aus Meiner Gesellschaft der Weg vertreten werden.
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Übrigens, so er sich nicht ändert, wird er in Kürze schon seinen Lohn finden. Doch lassen wir jetzt den abwesenden Jünger; denn es gibt ja noch andere Dinge, die wir zu besprechen haben!
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Nach dem Morgenmahle werde Ich ohnehin alsogleich fortreisen und Mich in die Gegend hin begeben, wo der altbekannte Bach Arnon seinen Ursprung nimmt. Denn von hier sind die Wege ins Jordantal hinab sehr böse und beschwerlich; aber durch das Arnontal führt ein noch ziemlich guter Weg, der aber späterhin auch zu einem sehr beschwerlichen werden wird.
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Ich aber habe noch manches zu tun im Jordantal, und es wird sich noch eine kurze Zeit verziehen, bis Ich hinauf nach Jerusalem komme!"