Bischof Martin
Die Entwicklung einer Seele im Jenseits
- Kapitel 35 -
Martins erster Missionsgang und seine Erfahrungen. Eine scheinbare Menagerie - ,,Ohne Mich vermöget ihr nichts!"
Bischof Martin begibt sich sogleich freudigst dahin in Meiner, des Petrus und des weisen Buchhändlers Gesellschaft, welch letzterer mit unendlicher Ehrfurcht hinter uns einhergeht. Zur Türe des Gemaches kommend, verläßt uns Bischof Martin und begibt sich nach Meinem Geheiße sogleich zu den dreißig im obbezeichneten Gemach.
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Nun aber ist zu bemerken, daß sich unser Bischof Martin nicht mehr in seinem eigenen, sondern in Meinem reinsten Himmelslichte befindet, das er aber freilich aus weisen Gründen noch nicht so ganz in der Fülle seines wahrnehmenden Bewußtseins empfindet. In diesem Lichte aber erscheinen alle Dinge anders als im eigenen Naturlichte, also auch die Seelen, d.h. die abgeschiedenen Menschen.
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NB. ,Abgeschieden` darf hier nicht mit ,Sterben` verwechselt werden, was natürlich ein Unsinn wäre. ,Abgeschieden` bezeichnet hier den aus sich selbst durch allerlei Sünden (Seelengebrechen) gerichteten Zustand nach der Ablegung des Fleisches.
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Dieser Ordnung zufolge fand denn auch Bischof Martin, als er ins Gemach trat, statt Menschen meistens Tiergestalten, freilich wohl keine bösartigen, sondern mehr furchtsame und dumme. Nur wenige darunter hatten ein , schrolles und mit allerlei Auswüchsen behaftetes Aussehen. Die meisten andern sahen aus wie gehetzte Hasen, verhungerte Esel und Ochsen, auch ein paar sehr verkümmerte, räudige Schafe waren darunter.
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Als nun unser Bischof Martin anstatt der vermeintlichen dreißig von ihm hierhergebrachten Protestanten diese für ihn höchst sonderbare Gesellschaft im Gemache traf, die sich vor ihm schnell in die Winkel verkroch, eins übers andere kauernd, da blieb er eine Weile wie versteinert stehen. Endlich sprach er nach einem tiefen Atemholen zu sich: ,,Ja, was ist denn das schon wieder für ein echter Höllenspuk im ersten Himmelreiche, im Hause des Herrn? Nicht übel! Vielleicht gibt es hier auch Ratten und Mäuse und noch eine Menge kleineres Ungeziefer?!
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Nicht übel, nicht übel! Das ginge auch so hübsch mit der Schrift zusammen, wo es steht: ,Nichts Unreines kann in das Reich Gottes eingehen!` Und dies Paar räudige Schafe, da fünf Stück Kretins, voll der abscheulichsten Auswüchse, auch magere, schmutzige Ochsen, dergleichen Esel und mehrere ganz schäbig aussehende Hasen - wahrlich, eine rare Gesellschaft für den ersten oder obersten Himmel! In solcher Gesellschaft die himmlischen Freuden genießen? Das wird sich machen!
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Nein, heißt das aber doch einen armen Kerl, wie ich einer zu sein das Vergnügen habe, gehörig als ersten Aprilsboten gebrauchen - vorausgesetzt, daß man hier im Himmel auch etwas von einem Monat April weiß!
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Ah, das ist denn doch ein wenig zu toll! Was soll ich denn nun mit dieser ganz gutmütigen Menagerie anfangen? Wo sind denn meine dreißig hierher gebrachten Protestanten hin? Sind sie etwa hier in diese Tiere so allerliebst verwandelt worden, - was wirklich sehr spaßig wäre; man muß nur denken, daß hier das Zentrum des obersten, höchsten Himmels ist!
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Der Herr ist einmal der Herr; davon bin ich nun aus dem innersten Grunde meines Herzens überzeugt. Das sagt mir ja meine Liebe zu Ihm. Aufrichtig gesagt, ich möchte Ihn - wie man auf der Welt sagt - geradezu fressen vor Liebe! Aber was Er nun wieder mit diesem mir neu angebundenen Schabernack will, das wird auch Er sicher am besten wissen! Will Er etwa die Tiere gar in die Mast tun? Fürwahr, da wird sich wenig Speck ziehen lassen!
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Was plausche ich aber auch wie etwa ein Esel Nr. 31 dieser Gesellschaft?! Halb rechts kehr' dich um, und gehe dahin zurück, von wannen du gekommen bist! Lebt wohl, ihr Guten all, es wird mich sehr freuen, euch bald wiederzusehen!"
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Nach dieser lakonischen Anrede öffnet Bischof Martin wieder die Tür und kommt zu uns mit ganz lakonisch-verblüfftem Gesichte. Ich aber frage ihn sogleich, wo denn die dreißig seien.
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Und Bischof Martin erwidert: ,,O Herr, das weißt Du sicher besser als ich! Die da drinnen werden es sicher nicht sein. Und wären sie es, so wäre das im Ernste eine Metamorphose, die in diesen ersten und höchsten Himmel ebensowenig taugte als die Faust aufs Auge.
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Ohne die Viehsprache zu kennen, falls das Vieh auch irgendeine geheime Sprache hat, wird sich meines Erachtens mit der Einwohnerschaft dieses Gemaches nicht viel machen lassen. Du verstehst freilich auch die Steine und kannst mit den Elementen reden und durch Deine Allmacht ihnen gebieten; aber woher soll unsereiner so was nehmen?
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Daher, so Du, o Herr, doch sicher gewußt hast, was dies Gemach enthält, war das doch ohne weiteres eine Ansetzerei meiner Blödheit von Deiner Seite?"
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Rede Ich: ,,O Freund, nicht im geringsten, sondern du selbst hast dich angesetzt! Weißt du denn nicht, daß ein jeder neue Diener seines Herrn sich vorher in allem muß genau unterweisen lassen, bevor er irgendein ihm zukommendes Geschäft antritt?
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Siehe, es ist nicht genug, so Ich zu dir sage: ,Gehe dahin!`, und du gehst, und so Ich wieder sage: ,Komme her!`, und du kommst, - sondern da kommt es hauptsächlich aufs Warum und aufs Wie und aufs Wodurch an!
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Steht es nicht geschrieben: ,Ohne Mich vermöget ihr nichts!`? Daher hättest du auch sogleich, als Ich dich in dies Gemach beschied, vor Mir bekennen sollen: ,Herr, ohne Dich vermag ich auch nicht das Geringste!`, so hätte Ich dann schon diese Sache anders gewendet. Du aber gingst sogleich in einer Art von Selbstvertrauen da hinein. Darum mußtest du denn auch bei dir selbst erfahren, wieviel jedermann ohne Mich vermag.
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Auf der Welt wohl gibt es leider so viel selbständige Tatenverrichter, als es Menschen gibt, und so viel verschiedenartige Sinne und Erkenntnisse als Köpfe. Hier aber ist es anders, da gibt es nur eine Selbständigkeit, nämlich in Mir - und einen Sinn und eine Erkenntnis, nämlich auch in Mir und durch Mich! Wo das nicht ist, da ist nichts als Selbsttrug und Selbsttäuschung.
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Dies also zu deiner künftigen Belehrung und Richtschnur! - Nun aber gehen wir alle in dies Gemach und wollen da sehen, was sich mit dieser deiner vermeintlichen himmlischen Menagerie alles wird machen lassen, und ob diese Tiere Meine Sprache verstehen werden. Es sei!"