Die Geistige Sonne
Band 2
Mitteilungen über die geistigen Lebensverhältnisse des Jenseits
- Kapitel 105 -
Praktischer Unterricht der jenseitigen Schüler in der Nächstenliebe
Ihr wißt, daß mit dem bloß theoretischen Wissen und Glauben nirgends etwas getan ist. Was nützt es jemanden, wenn er seinen Kopf mit tausend noch so richtigen Theorien angestopft hat? Was nützt es jemanden, wenn er alles für unbedingt wahr hält, was in dem Buche des Lebens geschrieben steht? Das alles nützt einem gerade soviel, als so sich jemand alle musikalischen Theorien buchstäblich zu eigen gemacht hätte und auch zu der Einsicht gelangt wäre, daß er, würde er sich der Theorien praktisch bedienen, im Ernste die eminentesten Kompositionen zustande brächte, oder wenigstens einen auserlesenen Virtuosen auf dem einen oder andern Instrumente abgeben würde. Frage: Wird er mittels aller dieser gründlichen theoretischen Kenntnisse ohne die geringste praktische Fertigkeit irgendein Stück von einigem Werte zu komponieren imstande sein? Oder wird er auch nur den leichtesten Takt einer Komposition entweder schlechthin zu singen oder auf einem Musikinstrumente vorzutragen vermögen? Sicher nicht, denn ohne praktische Übung nützt keine Theorie etwas.
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Es ist dasselbe, als so es irgendeinen törichten Vater gäbe, der da sein Kind zwar pflegen würde und seinen Verstand ausbilden, ihm aber die Füße stets verbunden hielte. Frage: Wird das Kind gehen können, wenngleich es andere gehen sah und alle Geharten und Fußbewegungen durch einen spanischen Tanzmeister theoretisch kennengelernt hätte? Der erste Schritt, den es wagt, wird schon so unsicher ausfallen, daß das nur theoretisch gebildete Kind sogleich am Boden liegen wird.
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Es ist damit mehr als klar gezeigt, daß das alleinige Wissen ohne Praxis zu nichts taugt! denn es ist ein brennender in einem leeren Saale, dessen Licht für sich allein brennt und niemandem zugute kommt. Demnach ist die tatsächliche Ausübung dessen, was man erkannt hat und weiß, unfehlbar die alleinige Hauptsache. Und da es im Reiche der reinsten Geister allzeit vorzugsweise aufs Tun ankommt und die Tätigkeit aus der Nächstenliebe der Hauptgrundsatz alles geistigen Wirkens ist, so wird eben dieses Gebot der Nächstenliebe hier auch mehr tatsächlich als theoretisch gelehrt.
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Wie aber? Diese, wie ihr sehet, schon erwachsenen Schüler werden bei allerlei Gelegenheiten von den schon vollkommeneren Geistern mitgenommen und müssen besonders bei den Neuangelangten von der Erde die wahrhaftigen Nächsten, die weniger Nächsten und dann auch die Fernen unterscheiden lernen. Sie müssen da erkennen, wie sie sich zu den Nächsten, zu den weniger Nächsten und zu den Fernen zu verhalten haben.
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Bekanntlich ist das Mitleidsgefühl der Jugend größer als das des festen Mannesalters. Daher geschieht es auch, daß diese Schüler alles, was ihnen begegnet, mit großem Mitleid und großer Erbarmung aufnehmen.
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Sie möchten gleich alles in den Himmel hineinschieben, indem sie aus der Erfahrung noch nicht wissen, daß der Himmel nur den eigentlichen Allernächsten eine große Seligkeit gewährt, den weniger Nächsten und den Fernen aber eine größere, auch allergrößte Qual ist. Bei diesen Gelegenheiten also lernen sie erst völlig erkennen, wie die eigentliche Nächstenliebe darin besteht, daß man einem jeden Wesen seine Freiheit lassen muß und ihm geben .
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Denn wenn man jemandem etwas anderes tun will, als was dessen Liebe verlangt, so hat man ihm keinen Liebesdienst erwiesen. Wenn einer seinen Nachbarn um einen Rock bittet, und der Nachbar gibt ihm stattdessen einen Laib Brot, wird der Bittende damit zufrieden sein? Sicher nicht, denn er hat ja nur um den Rock, aber nicht um das Brot gebeten.
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Wenn jemand in ein Haus geht und verlangt eine Braut, und man gibt ihm anstatt der Braut einen Korb voll Salzes, wird er damit zufrieden sein? Und wenn jemand einen Weg in einen gegen Norden gelegenen Ort machen möchte, wo er ein Geschäft hat, ein Freund aber läßt seinen Wagen einspannen, nimmt den Geschäftsmann, der nach Norden soll, auf und fährt mit ihm nach Süden, wird ihm damit geholfen sein?
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Daher müssen die Geister, ehe sie ihre Nächstenliebe in die praktische Anwendung bringen wollen, erst genau die Liebart der Geister erforschen, die ihnen zugeführt werden. Wie sich diese Liebe vorfindet, gerade also muß auch nach dieser Liebe gehandelt werden.
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Wer in die Hölle will, muß dahin sein Geleite haben, denn also ist seine Liebe, ohne welche es für ihn kein Leben gibt. Und wer in den Himmel will, dem muß jene Leitung werden, daß er, auf den gerechten Wegen geläutert, dann vollkommen befähigt in den Himmel gelangt und da als ein wahrer geheiligter Bürger bestehen kann.
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Aber es ist auch nicht genug, einen Geist in einen und denselben Himmel zu bringen, sondern der Himmel muß der Liebe des Geistes auf ein Atom entsprechen, denn jeder andere Himmel wird sich mit einem himmlischen Bürger nicht vertragen, und es wird ihm darin ergehen, wie einem Fische in der Luft.
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Denn eines jeden Menschen Liebeart ist das ihm eigentümliche Lebenselement. Findet er dieses nicht, so ist es um sein Leben bald geschehen. Daher muß auch die Nächstenliebe im Reiche der reinen Geister höchst genau und richtig geläutert und gebildet werden, ehe diese Geister wahrhaft in der göttlichen Ordnung die Neuangekommenen wie auch die schon lange im Geisterreiche Seienden wahrhaft beseligend und belebend aufzunehmen imstande sind.
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Die Bildung dieser Nächstenliebe und ihre Läuterung besteht demnach in dem, die Liebeart in den Geistern zu erforschen und zu erkennen, und dann aber auch die Wege der göttlichen Ordnung zu erkennen und einzusehen, auf welchen diese Geister zu führen und wie sie zu führen sind.
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Keinem Geiste darf irgend Gewalt angetan werden. Sein freier Wille, gepaart mit seiner Erkenntnis, bestimmt den Weg und die Liebe des Geistes die Art und Weise, wie er auf demselben zu leiten ist.
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Wenn die Geister erst an den Ort ihrer ihnen zusagenden Liebe kommen und dort bösartig auftreten, dann erst ist es an der Zeit - aber wieder nur nach der Art der Bosheit - strafend entgegenzuwirken.
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Und sehet nun, in allem dem, was die Nächstenliebe betrifft, werden unsere Schüler auf das genaueste praktisch unterrichtet. Haben sie darin eine Fertigkeit erlangt, bekommen sie die Weihe der Vollendung. Sie werden dann auf eine genau verhältnismäßig bestimmte Zeit den auf der Erde lebenden Menschen als Schutzgeister beigegeben, zumeist aus dem Grunde, um sich bei dieser Gelegenheit in der wahren Geduld des Herrn zu üben. Ihr glaubt es kaum, wie schwer es einem solchen himmlisch gebildeten Geiste fällt, mit den halsstarrigen Menschen dieser Erde so im höchsten Grade nachgebend umzugehen, daß diese es nie merken, daß sie von einem solchen Schutzgeiste auf allen Wegen begleitet und nach ihrer Liebe geleitet werden.
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Fürwahr, es ist keine Kleinigkeit, wenn man mit aller Macht und Kraft ausgerüstet ist und darf als Anfänger nicht Feuer vom Himmel rufen, sondern muß da im Bewußtsein seiner Macht und Kraft fortwährend zusehen, wie der einem anvertraute Mensch sich in allerlei Argem der Welt begründet und des Herrn mehr und mehr vergißt.
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Eine Kindsmagd hat mit dem bengelhaftest unartigen Kinde einen barsten Himmel gegen der Aufgabe eines im Anfang seiner Mission stehenden Schutzgeistes. Wie viele Tränen müssen diese vergießen, und ihr ganzes Einwirken darf nur in einem allerleisesten Gewissenseinflüstern bestehen oder höchstens bei außerordentlichen Gelegenheiten in der Verhütung gewisser Unglücksfälle, welche auf die Sterblichen der Erde von der Hölle angelegt sind. In allem übrigen dürfen sie nicht einwirken.
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Nun aber stellt euch nur ein wenig das nicht selten bittere Los eines sogenannten Hauslehrers oder Hofmeisters vor, wenn er recht rohe und bengelhafte Kinder zur Erziehung bekommt. Ist da nicht ein Holzhauerzustand besser? Sicher, denn das Holz läßt sich nach dem Willen des Holzhauers fällen und spalten, aber das ungehobelte Kind spottet des Willens seines Meisters. Doch dieser Zustand ist kaum ein leisester Schatten gegen den eines Schutzgeistes, dessen Schutzbefohlener entweder ein Geizhals, ein Dieb, ein Räuber, ein Mörder, ein Spieler, ein Hurer und Ehebrecher ist. Solche Greueltaten muß der Schutzgeist stets passiv mit ansehen und darf mit all seiner Kraft nicht im geringsten vorgreifend entgegenwirken. Und wenn schon bei manchen Gelegenheiten ein Vorgriff gestattet ist, so muß er aber dennoch so klug angelegt werden, daß der Schützling dadurch in der Freiheitssphäre seines Willens nicht im geringsten behindert wird, sondern höchstens nur in der tatsächlichen Ausführung desselben.
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Sehet, das ist sonach das zweite praktische Geschäft, in welchem sich unsere geweihten Schüler in der Nächstenliebe und vorzüglich in der Geduld des Herrn üben müssen. - Was aber mit ihnen nach dieser Geduldübung geschieht, wird die Folge zeigen. -