Das Grosse Evangelium Johannes: Band 5
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi
Ev. Matth. Kap. 16 (Fortsetzung)
- Kapitel 27 -
Das künstliche Allerheiligste im Tempel zu Jerusalem. Indische Bußgreuel
Sagt Roklus: ,,Herr, Herr, Herr, ganz gut und weise war dein Gegenwort, das ich von Silbe zu Silbe reiflichst erwogen und gar wohl überlegt habe! Ich fand so manches Wahre und Gute darin, wie auch, daß du mir kaum begreiflichermaßen ein ganz vollkommen echter Kosmopolit bist, wie es leider besonders in deiner Höhe nun wohl ganz verzweifelt wenige mehr gibt.
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Es wäre die Idee von einem einigen, allerweisesten, aber dabei auch allerhumansten Gotte gar schön und höchst löblich; aber wo existiert solch eine Gottheit anders als eben in der schönen Idee eines poetisch geweckten Menschengemütes? Denn wäre irgend anders eine göttliche Realität, so müßte sie sich ja doch durch irgend etwas Besonderes äußern! Aber da kann man schon tun, was man nur immer will, und suchen und forschen mit dem höchsten Fleiße von der Welt und mit aller der intensivsten Aufmerksamkeit und Verstandesschärfe, und das stets mit dem besten Willen von der Welt, so nützet das alles aber dennoch nichts!
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Überall, wohin man sich auch suchend wendet, steht ein vermummter Mensch im Vordergrunde, so wie im Tempel zu Jerusalem vor dem kostbaren Vorhange Wächter stehen, damit ja kein Laie je hinter den mysteriösen Vorhang treten könne. Unsereiner aber kam durch sein Gold als Nichtjude auch hinter solchen Isisschleier und fand hinter demselben nichts, als was Menschenhände erzeugt haben: einen sarkophagähnlichen Kasten aus schwarzem und braunem Holze, und in der Mitte dieses Kastens war ein ehernes Becken befestigt, aus dem Naphtha in heller und hoher Flamme brannte, welche Flamme die Gegenwart des allerhöchsten Gottes darstellte!
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Ich aber frage, wieviel Blindheit und Dummheit dazu erfordert wird, um das glauben zu können! Wo ist da der Gott und nicht der Mensch, der alles das zusammengesetzt hat zur Illusion seiner Nebenmenschen, denen er alle Kenntnisnahmen auf Leben und Tod vorenthält, auf daß sie gleichfort so dumm und blind als möglich bleiben sollen und mit bluttriefenden Händen Tag und Nacht arbeiten, auf daß die arbeitsscheuen Stellvertreter Gottes sich recht mästen können auf Kosten der armen, dummen Faune. Was kümmert so eine menschgöttliche Hoheit auch das Leben von Millionen? Diese müssen, um sich nicht alle Furien an den Hals zu ziehen, alle Augenblicke bereit sein, ihr Leben irgend in die Schanze zu schlagen, um ihren Gottes Stelle vertretenden, unvertilgbaren Quälgeist, der eigentlich ihr größtes Übel ist, zu erhalten!
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Freund, wenn ich dich also nennen darf, gehe nach Indien und besieh dir dort die Menschheit, und dir werden die Haare zu Berge stehen! Da wirst du Büßer antreffen, von denen deiner Phantasie noch nie irgend etwas hat träumen können! Hier hat man gegen Verbrecher Strafen, die von den Richtern verhängt und von den Gerichtsvollstreckern im schlimmsten Falle längstens einen Tag lang an den Sündern wider's Gesetz vollzogen werden. Dort dauert die leichteste Bußstrafe mindestens ein bis zwei Jahre, die der Sünder an sich selbst ohne alle Gnade in den bestimmtesten Vollzug setzen muß, und da ist die leichteste aber schon derart grausam, daß eine römische Kreuzigung als ein förmliches Nichts dagegen anzusehen ist. Ich werde dir nur so einige leichteste Beispiele kundgeben, und du wirst an denen sicher vollkommen genug haben!
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Ich sah einen solchen leichten Büßer! Dieser hatte durch die Waden drei eherne Nägel gezogen, mußte aber dennoch eine bedeutende Last um einen Baum ziehen. Wollte sein Fleisch ermüden, so nahm er eine mit ehernen Spitzen versehene Peitsche und versetzte sich selbst die gewaltigsten Hiebe. Sein tägliches Büßeressen bestand aus sieben Feigen und einem Kruge Wasser. Dieser Büßer verrichtete seine Buße schon im zweiten Jahre und war noch am Leben.
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Einen andern, auch leichten Büßer, sah ich am ganzen Leibe mit Stacheln gleich einem Stachelschweine besteckt, nur mit dem Unterschiede: Bei dem Stachelschweine sind die scharfen Spitzen nach außen gekehrt, bei dem Büßer aber waren sie nach innen gekehrt und staken mindestens zwei Daumen dick im Fleische. Diese Stacheln, entweder aus hartem Holz, Bein oder auch aus Erz, muß sich der Büßer nach Vorschrift des freundlichsten Bußpropheten selbst ins Fleisch stoßen, und zwar an jedem Tage um einen mehr die ganze zweijährige Bußzeit hindurch, so daß er am Ende seiner verzweifelten Bußzeit ebenso viele heilige Bußstacheln im Leibe und Fleische stecken hat, als wie viele Tage zwei volle Jahre enthalten. Hat der Büßer noch mit Beibehalt des Lebens seine Buße überstanden, so beginnt dann erst die freiwillige Nachbuße des Verdienstes wegen vor den allsehenden Augen Lamas; denn der erste Pflichtteil der Buße war nur da, um vom Lama die Vergebung einer Sünde zu erlangen. Erst durch die Nachbuße kann der Sünder sich ein Verdienst vor dem Lama erwerben.
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Ich fragte den sonst sehr freundlichen Bußverkünder, worin denn die Nachbuße dieses bestachelten Büßers bestehen werde. Da sagte dieser: ,In zwei-, auch dreierlei! Entweder: er behält die Stacheln bis an sein Lebensende im Fleische steckend, was mit sehr vielen Unbequemlichkeiten verbunden ist, besonders bei der Nachtruhe; denn dergleichen Büßer können dann nur auf dem Flugsande oder mit angebundenen Schläuchen, die mit Luft gefüllt sein müssen, im Wasser die Nachtruhe halten. Fürs zweite aber können sie sich die Stacheln schon wieder aus dem Fleische ziehen; aber an einem Tage nicht mehr als nur einen, und so haben sie mit dem Ausziehen dann ebenso lange zu tun wie früher mit dem Hineinstoßen. Sie können sich aber fürs dritte auch alle Stacheln auf einmal herausziehen lassen und darauf ein Balsambad nehmen. Das heilet schnellst die Wunden, und der Büßer ist darauf gleich wieder ein brauchbarer und arbeitsfähiger Mensch; aber er muß dafür entweder ein tüchtiges Opfer dem Lama verabreichen oder vier Jahre lang der Sklave eines Priesters sein und dessen Äcker, Wiesen und Gärten bestellen, wobei er sich aber ganz aus eigenen Mitteln zu verpflegen hat. Daß es ihm dabei eben nicht am besten ergeht, läßt sich wohl von selbst denken!`
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Das gab mir so ein freundlicher Bußverkündigungspriester zur Kunde, worauf ich ihn dann fragte, was so ein Sünder denn verbrochen haben müsse, damit ihm solch eine Marterbuße auferlegt werden könne. Da sagte der Bußverkünder: ,Es ist dazu oft gar kein eigentliches Verbrechen notwendig, sondern das alles liegt in der nie erforschbaren weisen Willkür des ewigen Lama! Er offenbart seinen heiligen Willen nur allein seinem obersten Priester auf Erden. Dieser verkündet ihn dann uns Unterpriestern, und wir unterrichten darauf dann erst das Volk, das uns blindest zu gehorchen hat. Denn sind wir auch unendlich klein und wenig vor des Lama höchstem Priester, so sind wir aber dennoch unendlich viel und groß und willensmächtig vor dem Volke! Ein Wort aus unserem Munde ist dem Volksmenschen ein unwandelbares Gesetz, weil das Volk es wohl weiß, daß des Lama und unser Wort eins ist!`
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Ich fragte ihn, ob Lama denn nie einen Grund angäbe, warum er über so einen Menschen solch ein entsetzlich grausames Bußwerk verhänge. Sagte der Priester abermals mit der freundlichsten und mit der demutsvollsten Miene von der Welt: ,Sagt Lama auch je einem Menschen, wie, wann und warum er ihn mit einer schmerzlichsten Krankheit behaftet? Lama ist höchst weise, allmächtig und gerecht. Er tut, was er will, und fragt nie jemanden um Rat, und der Menschen Urteil ist ihm ein Greuel! Wer aber kann sich dem Willen Lamas widersetzen, der da allmächtig ist? Es wäre das Entsetzlichste des Entsetzlichen und das Schrecklichste des Schrecklichen, ihn gar zornig zu machen! Es ist darum dem Menschen heilsamer, auf dieser Welt, auf der alles sein Ende hat, sich alle Martern anzutun, als in der andern Welt ewig im erschrecklichsten Zornfeuer Lamas zu brennen.`
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Darauf fragte ich den freundlichen Mann, der mit der größten und frömmst aussehenden Gemütsruhe jahrelang zuschauen konnte, wie hundert Büßer auf das unerträglichste nach dem ihnen kundgemachten Willen Lamas ihr Fleisch peinigten und abtöteten, warum denn unter den Büßern kein junges Weib, noch weniger ein Mädchen, ebenso auch gar kein Priester sich vorfinde. Man sähe bloß so mehr bejahrte Menschen, zumeist Mohren, und ganz alte, gewöhnlich sehr häßliche Weiber! Darauf sagte der fromme Priester nichts als: ,Lieber, wißbegieriger Fremdling, jede Erklärung liegt in dem ,Lama will es also!` Weiß man das, so ist jedes weitere Fragen überflüssig!`"